Durchsetzungs­initiative

Unnötig, ineffizient und ein Pfusch

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Leitartikel — Die Durch­set­zungs­ini­tia­ti­ve trifft vor al­lem Bür­ger aus der EU und um­lie­gen­den Län­dern.
Wer nicht will, dass der Zu­fall ent­schei­det, sagt nein.

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Von Arthur Rutishauser

Letz­ten Som­mer gras­sier­te das Hel­fer­synd­rom. Wer nur schon Zwei­fel an­mel­de­te, ob Euro­pa und da­mit auch die Schweiz Hun­dert­tau­sen­de von Flücht­lin­gen aus Sy­ri­en auf­neh­men kann, galt als kalt­her­zig. Heu­te wis­sen wir, dass nicht nur wehr­lo­se Frau­en mit Kin­dern und Al­te aus dem sy­ri­schen Kriegs­ge­biet ka­men, son­dern auch vie­le Män­ner aus Nord­af­ri­ka, Af­gha­ni­stan oder Pa­ki­stan. Und vor al­lem ka­men Men­schen, kei­ne Hei­li­gen und erst noch sol­che in dem Al­ter, in dem Män­ner am ehe­sten Ge­set­ze bre­chen, näm­lich zwi­schen 20 und 30.

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Spä­tes­tens seit Köln ist die Will­kom­mens­kul­tur vor­bei und die Durch­set­zungs­ini­tia­ti­ve der SVP trifft den Nerv der Zeit. Denn wer will denn schon ge­gen die Aus­schaf­fung von kri­mi­nel­len Aus­län­dern sein? Und doch, die Ini­tia­ti­ve ist un­nö­tig, sie trifft die Fal­schen und ist erst noch ein Pfusch.

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Die Ini­tia­ti­ve dient der SVP in er­ster Li­nie als po­li­ti­sches Druck­mit­tel: Die Par­tei und na­ment­lich Chri­stoph Blo­cher ma­chen gel­tend, die von ih­nen lan­cier­te Aus­schaf­fungs­ini­tia­ti­ve wer­de nicht kon­se­quent um­ge­setzt. Im We­sent­li­chen geht es bei der kom­men­den Ab­stim­mung al­so da­rum, zu wäh­len, ob man der neu­en SVP-Ini­tia­ti­ve zu­stim­men will oder dem Um­set­zungs­vor­schlag des Par­la­ments.

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Un­nö­tig ist das Be­geh­ren da­rum, weil es in der Schweiz kei­nen we­sent­li­chen An­stieg der Kri­mi­na­li­tät gibt. Wir ha­ben seit zehn Jah­ren et­wa gleich vie­le Ge­fäng­nis­in­sas­sen, ob Aus­län­der oder Schwei­zer. Bei den Ju­gend­li­chen ist die Kri­mi­na­li­tät so­gar so stark rück­läu­fig, dass man neue Ver­wen­dungs­zwec­ke für be­ste­hen­de Ju­gend­ge­fäng­nis­se sucht.

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Die Ini­tia­ti­ve trifft die Fal­schen, weil sie eine Schein­lö­sung vor­gau­kelt. Wa­rum? Weil sie nur in der Theo­rie mehr Weg­wei­sun­gen be­wirkt als die Par­la­ments­lö­sung. Das zeigt eine Un­ter­su­chung des Bun­des. Ge­mäss Durch­set­zungs­ini­tia­ti­ve wä­ren 2014 zwar 10'210 ver­ur­teil­te Aus­län­der aus­ge­wie­sen wor­den, laut Va­rian­te Par­la­ment «nur» 3863. Der gros­se Un­ter­schied zur Par­la­ments­lö­sung — rund 6000 zu­sätz­li­che Weg­wei­sun­gen — re­sul­tiert dar­aus, dass die Durch­set­zungs­ini­tia­ti­ve auch einen Teil des be­reits be­ste­hen­den Aus­länd­er­ge­set­zes in den Straf­ka­ta­log auf­nimmt. Von dem sind vor al­lem Asyl­be­wer­ber be­trof­fen.

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Das heisst mei­stens: Ein Mensch, der be­reits heu­te nicht hier sein dürf­te, darf künf­tig dop­pelt nicht hier sein und kann dop­pelt nicht aus­ge­schafft wer­den. Zum Bei­spiel, weil zu Hau­se ent­we­der Krieg herrscht oder weil nicht klar ist, aus wel­chem Land er stammt, und ihn da­rum nie­mand auf­neh­men will. Die Ini­tia­ti­ve trifft vor al­lem Bür­ger von um­lie­gen­den Län­dern, al­so meist aus der EU und an­gren­zen­den Staa­ten — und oft Se­con­dos. Wä­re die Durch­set­zungs­ini­tia­ti­ve 2014 in Kraft ge­we­sen, hät­ten 439 in der Schweiz ge­bo­re­ne Aus­län­der mit einer Auf­ent­halts- oder TOP Nie­der­las­sungs­be­wil­li­gung das Land ver­las­sen müs­sen. Mit der par­la­men­ta­ri­schen Va­rian­te wä­ren 251 weg­ge­wie­sen wor­den. Ob die Ini­tia­ti­ve mit ih­rer Vor­stra­fen­re­ge­lung Kri­mi­na­li­tät ver­hin­dern kann, ist um­strit­ten. Zwei­fel sind zu­min­dest er­laubt, wie aus­län­di­sche Bei­spie­le zei­gen. Der Glau­be, mit einer Re­gel die Kri­mi­na­li­tät zu be­sie­gen, ist nicht neu, son­dern ein ver­spä­te­ter Nach­zug einer po­li­ti­schen Mo­de­er­schei­nung aus Ame­ri­ka.

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Lehren aus den USA

Ge­prägt von stei­gen­den Kri­mina­li­täts­ra­ten ha­ben in den USA 24 der 50 Bun­des­staa­ten in den 90er-Jah­ren ein so­ge­nann­tes «Three-stri­kes Law» ver­ab­schie­det. Das kann man über­set­zen mit der Dro­hung: «Beim drit­ten Mal bist du rich­tig dran.» — und zwar auto­ma­tisch, wie bei der Durch­set­zungs­ini­tia­ti­ve, selbst wenn das letz­te De­likt un­ter Klein­kri­mi­na­li­tät ver­bucht wird. Das al­ler­dings erst nach drei Ver­feh­lun­gen, nicht schon bei zwei wie bei der SVP. In Ka­li­for­ni­en führ­te die har­sche Um­set­zung die­ses «Three-Stri­kes»-Ge­set­zes da­zu, dass der Staat in 30 Jah­ren 22 Ge­fäng­nis­se bau­en muss­te. Die Kri­mi­na­li­täts­ra­te sank zwar stark, nur eben nicht stär­ker als in an­de­ren Staa­ten, wo we­ni­ger ri­gi­de Ge­set­ze herrsch­ten. Schliess­lich wur­de es den Ka­li­for­ni­ern zu teu­er. Das Ge­setz wur­de ge­kippt.

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Ein Pfusch ist die Durch­set­zungs­vor­la­ge, weil der De­lik­te­ka­ta­log, der in die Ver­fas­sung kom­men soll, so zu­sam­men ge­stellt wur­de, dass je nach Fall die Rei­hen­fol­ge der De­lik­te ent­schei­det, ob man nun aus­ge­wie­sen wird oder nicht. Fa­zit: Wer den Jus­tiz­ap­pa­rat nicht un­nö­tig auf­blä­hen und das Recht nicht dem Zu­fall über­las­sen will, der sagt En­de Feb­ru­ar nein.

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