Durchsetzungsinitiative |
Letzten Sommer grassierte das Helfersyndrom. Wer nur schon Zweifel anmeldete, ob Europa und damit auch die Schweiz Hunderttausende von Flüchtlingen aus Syrien aufnehmen kann, galt als kaltherzig. Heute wissen wir, dass nicht nur wehrlose Frauen mit Kindern und Alte aus dem syrischen Kriegsgebiet kamen, sondern auch viele Männer aus Nordafrika, Afghanistan oder Pakistan. Und vor allem kamen Menschen, keine Heiligen und erst noch solche in dem Alter, in dem Männer am ehesten Gesetze brechen, nämlich zwischen 20 und 30.
Spätestens seit Köln ist die Willkommenskultur vorbei und die Durchsetzungsinitiative der SVP trifft den Nerv der Zeit. Denn wer will denn schon gegen die Ausschaffung von kriminellen Ausländern sein? Und doch, die Initiative ist unnötig, sie trifft die Falschen und ist erst noch ein Pfusch.
Die Initiative dient der SVP in erster Linie als politisches Druckmittel: Die Partei und namentlich Christoph Blocher machen geltend, die von ihnen lancierte Ausschaffungsinitiative werde nicht konsequent umgesetzt. Im Wesentlichen geht es bei der kommenden Abstimmung also darum, zu wählen, ob man der neuen SVP-Initiative zustimmen will oder dem Umsetzungsvorschlag des Parlaments.
Unnötig ist das Begehren darum, weil es in der Schweiz keinen wesentlichen Anstieg der Kriminalität gibt. Wir haben seit zehn Jahren etwa gleich viele Gefängnisinsassen, ob Ausländer oder Schweizer. Bei den Jugendlichen ist die Kriminalität sogar so stark rückläufig, dass man neue Verwendungszwecke für bestehende Jugendgefängnisse sucht.
Die Initiative trifft die Falschen, weil sie eine Scheinlösung vorgaukelt. Warum? Weil sie nur in der Theorie mehr Wegweisungen bewirkt als die Parlamentslösung. Das zeigt eine Untersuchung des Bundes. Gemäss Durchsetzungsinitiative wären 2014 zwar 10'210 verurteilte Ausländer ausgewiesen worden, laut Variante Parlament «nur» 3863. Der grosse Unterschied zur Parlamentslösung — rund 6000 zusätzliche Wegweisungen — resultiert daraus, dass die Durchsetzungsinitiative auch einen Teil des bereits bestehenden Ausländergesetzes in den Strafkatalog aufnimmt. Von dem sind vor allem Asylbewerber betroffen.
Das heisst meistens: Ein Mensch, der bereits heute nicht hier sein dürfte, darf künftig doppelt nicht hier sein und kann doppelt nicht ausgeschafft werden. Zum Beispiel, weil zu Hause entweder Krieg herrscht oder weil nicht klar ist, aus welchem Land er stammt, und ihn darum niemand aufnehmen will. Die Initiative trifft vor allem Bürger von umliegenden Ländern, also meist aus der EU und angrenzenden Staaten — und oft Secondos. Wäre die Durchsetzungsinitiative 2014 in Kraft gewesen, hätten 439 in der Schweiz geborene Ausländer mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung das Land verlassen müssen. Mit der parlamentarischen Variante wären 251 weggewiesen worden. Ob die Initiative mit ihrer Vorstrafenregelung Kriminalität verhindern kann, ist umstritten. Zweifel sind zumindest erlaubt, wie ausländische Beispiele zeigen. Der Glaube, mit einer Regel die Kriminalität zu besiegen, ist nicht neu, sondern ein verspäteter Nachzug einer politischen Modeerscheinung aus Amerika.
Geprägt von steigenden Kriminalitätsraten haben in den USA 24 der 50 Bundesstaaten in den 90er-Jahren ein sogenanntes «Three-strikes Law» verabschiedet. Das kann man übersetzen mit der Drohung: «Beim dritten Mal bist du richtig dran.» — und zwar automatisch, wie bei der Durchsetzungsinitiative, selbst wenn das letzte Delikt unter Kleinkriminalität verbucht wird. Das allerdings erst nach drei Verfehlungen, nicht schon bei zwei wie bei der SVP. In Kalifornien führte die harsche Umsetzung dieses «Three-Strikes»-Gesetzes dazu, dass der Staat in 30 Jahren 22 Gefängnisse bauen musste. Die Kriminalitätsrate sank zwar stark, nur eben nicht stärker als in anderen Staaten, wo weniger rigide Gesetze herrschten. Schliesslich wurde es den Kaliforniern zu teuer. Das Gesetz wurde gekippt.
Ein Pfusch ist die Durchsetzungsvorlage, weil der Deliktekatalog, der in die Verfassung kommen soll, so zusammen gestellt wurde, dass je nach Fall die Reihenfolge der Delikte entscheidet, ob man nun ausgewiesen wird oder nicht. Fazit: Wer den Justizapparat nicht unnötig aufblähen und das Recht nicht dem Zufall überlassen will, der sagt Ende Februar nein.
* * *