Magazin der Schwei­ze­ri­schen En­er­gie-Stif­tung SES

SWISS­NUCLEAR-KOSTEN­STUDIE 2016


AKW
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Neue Trick­se­rei­en bei den Atom­müll­kosten

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«Die Ent­sor­gungs­kos­ten stei­gen, die Bei­trä­ge1) aber sin­ken», heisst es in der neu­es­ten Schät­zung zu den Sill­le­gungs- und Ent­sor­gungs­kos­ten für die Schwei­zer AKW. Was pa­ra­dox tönt, ist der neu­es­te An­lauf der Atom­bran­che, Kos­ten ab­zu­wäl­zen. Das Ver­ur­sa­cher­prin­zip bleibt auf der Strec­ke.

Epprecht Von Nils Epprecht
SES-Projektleiter Atom & Strom
nils.epprecht@energiestiftung.ch
Epprecht Von Nils Epprecht
SES-Projekt­leiter
Atom & Strom

nils.epprecht @energiestiftung.ch
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Stel­len Sie sich vor, Sie bau­en ein Haus. Nun er­öff­net Ih­nen Ihr Ar­chi­tekt, der Bau­be­ginn ver­zö­ge­re sich. Er sei in der Pla­nung zu rasch vor­ge­gan­gen und müs­se zu­erst wei­te­re Ab­klä­run­gen tref­fen. Ein är­ger­li­ches Un­ter­fan­gen, das für Ar­chi­tek­ten im Nor­mal­fall teu­er wird.

Wie sich ein ver­zö­ger­tes End­lager lohnt

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Bei der Ent­sor­gung der ra­dio­ak­ti­ven Ab­fäl­le ver­läuft es ähn­lich: Das Tie­fen­la­ger ver­spä­tet sich um 10 bis 15 Jah­re bis min­des­tens ins Jahr 2060. Die mit Stan­dort­su­che und Bau be­auf­trag­te Nag­ra (Na­tio­na­le Ge­nos­sen­schaft für die La­ge­rung ra­dio­ak­ti­ver Ab­fäl­le) wur­de in den letz­ten Jah­ren mehr­mals zu­rück­ge­pfif­fen. Nicht zu­letzt, weil sie, um Kos­ten zu spa­ren, Stand­or­te zu früh aus­schei­den las­sen woll­te — zu­letzt wie­der im Fall von Nörd­lich Lä­gern.

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Die Nag­ra ge­hört den AKW-Be­trei­bern und wird durch die­se fi­nan­ziert. Per Ge­setz müs­sen sie als Ver­ur­sa­cher des Ab­falls für sämt­li­che Kos­ten der Ent­sor­gung auf­kom­men (Ver­ur­sa­cher­prin­zip). Um den Bau des Tie­fen­la­gers der­einst zu be­zah­len, leis­ten die AKW-Be­trei­ber jähr­lich Bei­trä­ge in den Ent­sor­gungs­fonds. Dort wird das Geld an­ge­legt und spielt Zin­sen ein, die eben­falls für den Bau ver­wen­det wer­den kön­nen. Da die Zins­er­trä­ge stark schwan­ken, ist im Ge­setz fest­ge­legt, dass für die Be­rech­nung der Bei­trä­ge ein Zins von 3,5 % ein­kal­ku­liert wer­den darf. Mit der Ver­spä­tung des Tie­fen­la­gers fal­len die Bau­kos­ten spä­ter an. Das Geld liegt län­ger im Fonds und bringt mehr Zin­sen ein.

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Im De­zem­ber pub­li­zier­te swiss­nuc­le­ar, der Bran­chen­ver­band der AKW-Be­trei­ber, in ih­rer neu­sten Kos­ten­stu­die KS16 (sie­he Text­box) einen mo­de­ra­ten Kos­ten­au­stieg. Da sie erst­mals die ge­stie­ge­nen Zins­ein­nah­men auf­grund der Ver­zö­ge­run­gen be­rück­sich­tig­te, nah­men die Bei­trä­ge im Ver­hält­nis zu den Ge­samt­kos­ten ab. Oder um auf Ihr Haus zu­rück­zu­kom­men: An­statt wie der In­ha­ber eines Ar­chi­tek­tur­bü­ros für die Ver­zö­ge­rung eine Stra­fe zu be­zah­len, pro­fi­tie­ren die Be­sit­zer der AKW fi­nan­zi­ell für Ver­spä­tun­gen ih­rer Nag­ra.

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Der Fehl­be­trag bleibt kon­stant

Eigent­lich eine Win-win-Si­tua­ti­on: Die in wirt­schaft­li­chen Nö­ten be­find­li­chen AKW-Be­trei­ber müs­sen we­ni­ger Geld bei­sei­te le­gen und we­der die Eig­ner-Kan­to­ne noch der Bund müs­sen da­für ein­sprin­gen. Das «feh­len­de» Geld wird ein­fach an der Bör­se ein­ge­spielt.

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Doch was, wenn die Kos­ten­schät­zung und da­mit auch die Rück­stel­lun­gen für die Ent­sor­gung zu tief lie­gen? Die Ent­wick­lung der Kos­ten­schät­zungen in den letz­ten Jahr­zehn­ten (sie­he Gra­fik) zeigt, dass gros­se Skep­sis an­ge­bracht ist: Wirk­lich an­ge­spart wird erst, seit die AKW­Be­trei­ber nach der Jahr­tau­send­wen­de ge­setz­lich da­zu ver­pflich­tet wur­den. Doch mit den Rück­stel­lun­gen stei­gen seit­her ge­nau­so kon­stant auch die ge­schätz­ten Kos­ten. Der Fehl­be­trag in den Still­le­gungs- und Ent­sor­gungs­fonds ist da­durch über die Jah­re ge­sehen trotz hö­he­rer Bei­trä­ge prak­tisch gleich ge­blie­ben: 6 Mil­liar­den Fran­ken. Mehr noch: Die Fonds­be­stän­de sind nur we­nig hö­her als die bis heu­te von den Be­trei­bern di­rekt be­zahl­ten Be­trä­ge für die Zwi­schen­la­ge­rung der ab­ge­brann­ten Brenn­ele­men­te so­wie zur Fi­nan­zie­rung der Nag­ra. Und dies, ob­wohl die wirk­lich kos­ten­in­ten­si­ven Etap­pen beim Tie­fen­la­ger-Bau erst kom­men.

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Sicherheitszuschlag für das Verursacherprinzip

Um die­ser kon­stan­ten «Fi­nan­zie­rungs­lüc­ke» in den Fonds ent­ge­gen­zu­wir­ken, hat die eid­ge­nös­si­sche Fi­nanz­kon­trol­le vor drei Jah­ren des­halb einen so­ge­nann­ten Si­cher­heits­zu­schlag von 30% auf die Bei­trä­ge ge­mäss Kos­ten­stu­die 2011 (KSll) ver­an­lasst. Die­ser Zu­schlag hat die Rech­nung der fi­nan­zi­ell ge­beu­tel­ten Be­trei­ber je­doch deut­lich ver­teu­ert und ge­sal­zen.

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Gleich an drei Fron­ten käm­pfen sie seit­her da­ge­gen an: Vor Ge­richt be­käm­pfen sie den Zu­schlag an sich. Im Par­la­ment ver­su­chen sie, den Zu­schlag wie­der aus dem Ge­setz zu ent­fer­nen. Und in der neu­sten KS16 wa­gen sie ein be­son­de­res Hu­sa­ren­stück: So war bis und mit KSl1 un­klar, wie Prog­no­se­un­si­cher­hei­ten und Ri­si­ken in den Kos­ten­schät­zun­gen be­rück­sich­tigt wur­den. In der KS16 muss­te SWISS­NUC­LE­AR die­se nun mit 28,6 % der Ge­samt­kos­ten trans­pa­rent aus­wei­sen. Doch um die Bei­trä­ge der Be­trei­ber zu be­rech­nen, zieht SWISS­NUC­LE­AR diese 28,6% gleich wie­der ab und schlägt statt­des­sen den ge­setz­li­chen 30%-Zu­schlag hin­zu. Be­grün­dung: Un­si­cher­hei­ten und Ri­si­ken wür­den vom Si­cher­heits­zu­schlag ja be­reits ab­ge­deckt.

 

Kosten­studien und Fonds

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Alle fünf Jah­re ist die so­ge­nann­te Kos­ten­stu­die zu ak­tua­li­sie­ren. Dar­in wer­den vom Bran­chen­ver­band SWISS­NUC­LE­AR die Kos­ten für die Still­le­gung der AKW und die Ent­sor­gung der ra­dio­ak­ti­ven Ab­fäl­le ge-schätzt. Auf de­ren Ba­sis for­dert das UVEK von den AKW-Be­trei­bern Rück­stel­lun­gen in die bei­den staat­li­chen Fonds für Still­le­gung bzw. Ent­sor­gung. Re­fe­ren­zen für die Kos­ten­schät­zun­gen gibt es bis­her nur im Be­reich der Still­le­gung, bei der Ent­sor­gung ste­hen teu­re Miss­er­fol­ge zu Bu­che. Auch oh­ne Geld für sol­che Miss­er­fol­ge zu­rück­zu­le­gen, weist die neu­ste Kos­ten­stu­die 2016 im Ver­gleich zur Kos­ten­stu­die 2011 wie­der­um einen Kos­ten­an­stieg von 10% auf 22,6 Mrd. Fran­ken auf. Der Lö­wen­an­teil da­von, knapp 14 Mil­li­ar­den, muss der­einst aus den Fonds be­zahlt wer­den. Die üb­ri­gen Kos­ten fal­len be­reits heu­te an und wer­den di­rekt von den Be­trei­bern über den lau­fen­den Be­trieb der AKW be­zahlt.

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Doch SWISS­NUC­LE­AR ver­mischt so zwei un­ter­schied­li­che Din­ge: Die 28,6% be­tref­fen Un­si­cher­hei­ten und Ri­si­ken des Bau­pro­jekts Tie­fen­la­ger im Rah­men der Kos­ten­schät­zung — der 30 %-Si­cher­heits­zu­schlag be­trifft aber die Un­ge­nau­ig­keit der Kos­ten­schät­zung als sol­che und ist­eine po­li­ti­sche Re­ak­ti­on auf die stän­dig an­stei­gen­den Kos­ten­schät­zun­gen der letz­ten Jahr­zehn­te.

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Der Si­cher­heits­zu­schlag ga­ran­tiert al­so, dass noch ge­nü­gend Geld für die Ent­sor­gung zu­rück­ge­stellt wird, so­lan­ge die AKW lau­fen und Atom­strom ver­kauft wird. Er ist im Sin­ne eines ech­ten Ver­ur­sa­cher­prin­zips zu le­sen, zu dem sich auch SWISS­NUC­LE­AR auf sei­ner Web­site be­kennt: «Dank der kon­se­quen­ten An­wen­dung des Ver­ur­sa­cher­prin­zips sol­len kei­ne fi­nan­zi­el­len Las­ten an die nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen über­tra­gen wer­den.» Soll­te sich näm­lich her­aus­stel­len, dass die Kos­ten­schät­zun­gen für die End­la­ger auch mit der KS16 zu op­ti­mis­tisch wa­ren, kann das feh­len­de Geld an­ge­sichts der na­hen­den Still­le­gung der Schwei­zer AKW nicht mehr über den Atom­strom­ver­kauf ein­ge­spielt wer­den. Das glei­che pas­siert, wenn der Zins über die näch­sten Jah­re we­ni­ger hoch ist, als «per Ge­setz vor­ge­se­hen» — was im Tief­zins­um­feld der letz­ten Jah­re teil­wei­se der Fall war. In die­sem Fall be­zah­len nicht die heu­ti­gen AKW-Be­trei­ber, son­dern die nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen die Rech­nung.

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SWISS­NUC­LE­AR hat den Si­cher­heits­zu­schlag mit ih­rem rech­ne­ri­schen Kunst­griff de facto wie­der auf­ge­ho­ben und schafft es so­gar, aus dem Kos­ten­an­stieg der Ent­sor­gungs­kos­ten eine Kos­ten­re­duk­ti­on für die AKW-Be­trei­ber zu e­rrech­nen. Das ist eine gro­be und fahrläs­si­ge Miss­ach­tung des Ver­ur­sa­cher­prin­zips!

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Die Kos­ten­stu­die 2016 wird in den näch­sten Mo­na­ten durch das Eid­ge­nös­si­sche. Nuk­le­ar­si­cher­heits­in­spek­to­rat ENSI und Fi­nanz­spe­zia­li­sten ge­prüft. Bleibt zu hof­fen, dass sie wis­sen, wie man ein Haus baut und die Trick­se­rei und List ent­larvt. Die SES wird ih­rer­seits eine Be­gut­ach­tung vor­neh­men.»


¹) Ge­meint ist hier der Bei­trag der AKW-Be­trei­ber in die Fonds für die Still­le­gung und die Ent­sor­gung.
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