Die P-Kri­sen der Schwei­zeri­schen Eid­genos­sen­schaft

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Die Schwei­ze­ri­sche Eid­ge­nos­sen­schaft hat­te of­fen­bar schon län­ger ein gu­tes Ge­spühr für Din­ge, die zum Prob­lem wer­den wür­den. Man gab ih­nen gleich von An­fang an einen P-Na­men. Be­kannt sind da vor al­lem zwei:

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«P–16» — Die Wun­der­waf­fe

P16
FFA «P–16» — Modell Mk.Ⅲ
P16
FFA «P–16» — Modell Mk.Ⅲ
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Die FFA «P–16» ist ein ab 1950 in der Schweiz — bei Flug- und Fahr­zeug­wer­ken Al­ten­rhein (FFA) [vormals Dor­nier-Wer­ke Al­ten­rhein, heute ‟Stad­ler-Rail”] — ent­wic­kel­tes und ge­bau­tes strahl­ge­trie­be­nes Erd­kampf­flug­zeug, das je­doch letzt­lich bei der schwei­ze­ri­schen Flug­waf­fe nie ein­ge­führt wur­de.

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Es wur­den zwei Pro­to­ty­pen ge­baut. Am 25. Ap­ril 1955 ab­sol­vier­te der er­ste Pro­to­typ der P–16 mit dem mi­li­tä­ri­schen Kenn­zei­chen «J–3001» und dem Test­pi­lo­ten Hans Häf­li­ger am Steu­er sei­nen Erst­flug. Bei einem spä­te­ren Test­flug wur­de der Pro­to­typ durch ein Brems­ver­sa­gen bei einer Lan­dung er­heb­lich be­schä­digt, konn­te je­doch re­pa­riert wer­den. Bei einem Test­flug am 31. August 1955 kam es zu einer Stö­rung im Treib­stoff­zu­fuhr­sys­tem und das Trieb­werk fiel aus. Eine Lan­dung auf dem Flug­platz war nicht mehr mög­lich, und die Ma­schi­ne stürzte in den Bo­den­see. Der Pi­lot konn­te sich mit dem Schleu­der­sitz ret­ten. Dies war in der Ge­schich­te der Schwei­zer Luft­fahrt der er­ste er­fol­grei­che Ein­satz des Schleu­der­sit­zes. Das Flug­zeug wur­de an­schlies­send ge­bor­gen und ver­schrot­tet.

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Der zwei­te Pro­to­typ mit dem Kenn­zei­chen «J–3002» war im Frühjahr 1956 fer­tig­ge­stellt, und die Test­flüge wur­den wie­der auf­ge­nom­men. Im Rah­men die­ser Test­flüge durch­brach die «J–3002» am 15. August 1956 wäh­rend eines Bahn­nei­gungs­flugs erst­mals die Schall­mau­er.

Im März 1958 wur­den 100 Ma­schi­nen für die Schwei­zer Flug­waf­fe be­stellt. Der Na­tio­nal­rat stimm­te mit 111 ge­gen 36 Stim­men für den Auf­trag an die Flug- und Fahr­zeug­wer­ke AG (FFA) in Al­ten­rhein.

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Kurz nach die­sem Kauf­ent­scheid stürz­te eine Vor­se­ri­en­ma­schi­ne am 25. März 1958 bei Ror­schach in den Bo­den­see ab. Ein Leck in der Steu­er­hyd­rau­lik brach­te das Flug­zeug aus­ser Kontrol­le; da es sich be­reits im Lan­de­an­flug be­fand, hat­te der Pi­lot Jean Brun­ner kei­ne Zeit mehr, auf die me­cha­ni­sche Not­steue­rung um­zu­schal­ten und muss­te den Schleu­der­sitz be­tä­ti­gen. Nach die­sem Ab­sturz wur­de die Be­stel­lung der 100 Flug­zeu­ge stor­niert. Der Bun­des­rat sprach sich am 2. Ju­ni 1958 ge­gen den Kauf aus. Die Schweiz gab die Ent­wick­lung eines eige­nen Kampf­flug­zeugs auf und or­der­te statt­des­sen 100 Ma­schi­nen des Typs Haw­ker Hun­ter aus bri­ti­scher Pro­duk­ti­on, die ja nun bald aus­ser Dienst ge­stellt wer­den sol­len. Mit der Stor­nie­rung des Auf­trags über 100 P–16 wur­de die ein­ma­li­ge Mög­lich­keit ver­ge­ben, ein Flug­zeug aus eige­ner Fer­ti­gung zu be­sit­zen, das zu­dem zu den be­sten der euro­päi­schen Jagd­bom­bern ge­hört hät­te.

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Mehr In­fo zum P–16 sie­he: https://de.wikipedia.org/wiki/FFA_P-16.

Im Volks­mund wur­de die Ge­schich­te wie folgt kol­por­tiert:
Der Grund für Ab­stür­ze sei je­des­mal ge­we­sen, dass dem Flug­zeug die Flü­gel ab­ge­bro­chen sei­en. In ih­rer Rat­lo­sig­keit hät­ten die Ent­wick­ler dann die gan­ze Be­leg­schaft zu­sam­men­ge­ru­fen, um via Brain­stor­ming (war ge­ra­de neu und in al­ler Mun­de) einen mög­li­chen Grund zu fin­den. Da nie­mand wei­ter wuss­te, wur­de schliess­lich auch noch der Haus­ab­wart nach sei­ner Mei­nung ge­fragt. Die­ser woll­te erst nicht recht ant­wor­ten, mein­te aber dann, sie müss­ten halt dem Rumpf ent­lang in klei­nen Ab­stän­den klei­ne Lö­cher in die Flü­gel boh­ren. In ih­rer Ver­zweif­lung wur­de das aus­ge­führt und hat­te Er­folg. Dann wur­de der Ab­wart ge­fragt, wie er auf die Idee ge­kom­men sei. Da mein­te er kurz: “Ha­ben Sie schon mal er­lebt, dass das WC-Pa­pier bei der Per­fo­ra­ti­on reisst?”

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Die näch­ste Flug­zeug­be­schaf­fung

Das Leit­bild «Ar­mee 61» sah die Schaf­fung eines Luft­schirms für die weit­räu­mig ope­rie­ren­den Me­cha­ni­sier­ten Di­vi­sio­nen vor. Da­zu und auch im Hin­blick auf die ato­ma­re Op­ti­on soll­te die Luft­waf­fe zu­sätz­lich zu den vor­han­de­nen Vam­pire, Ve­nom und Hun­ter eine Flot­te mo­der­ner Hoch­leis­tungs­flug­zeu­ge er­hal­ten. Dar­aus re­sul­tier­te in den 1960er Jah­ren eine Eva­lua­ti­on zwi­schen Saab 35 Dra­ken, Lock­heed Star­figh­ter, Grum­man Ti­ger, Mi­ra­ge ⅢC und Fiat G.91.

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Die «Ar­beits­grup­pe für mi­li­tä­ri­sche Flug­zeug­be­schaf­fung» (AFG) be­an­trag­te eine ab­geän­der­te Ver­si­on der Mi­ra­ge ⅢC, die dann teil­wei­se auch in der Schweiz in Li­zenz her­ge­stellt wer­den soll­ten. Wäh­rend der Her­stel­lungs­pha­se zeig­te sich, dass die­se Son­der­an­fer­ti­gun­gen und der Li­zen­zbau durch die auf einen sol­chen Auf­trag nicht vor­be­rei­te­te Schwei­zer In­du­strie zu mas­si­ven Bud­get­über­schrei­tun­gen führ­ten. Mar­cel Kai­ser, Re­dak­tor der Welt­wo­che, ver­öf­fent­lich­te — wahr­schein­lich auf Grund von In­si­der­in­for­ma­tio­nen — als Ers­ter einen bri­san­ten Ar­ti­kel, der wie eine Bom­be ein­schlug. Der Bun­des­rat muss­te 1964 beim Par­la­ment einen Zu­satz­kre­dit von 576 Mil­lio­nen be­an­tra­gen, wel­chen die­ses ab­lehn­te. Oh­ne die­sen Ar­ti­kel wä­re das Pro­jekt wohl wie ur­sprüng­lich ge­plant durch­ge­führt wor­den.

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Statt­des­sen wur­de (erst­mals in der Schweiz) eine Par­la­men­ta­ri­sche Un­ter­su­chungs­kom­mis­si­on (PUK) zur Auf­klä­rung der Hin­ter­grün­de ein­ge­setzt. Drei ih­rer Mit­glie­der soll­ten spä­ter sel­ber in den Bun­des­rat ge­wählt wer­den, näm­lich der Vor­sit­zen­de Kurt Furg­ler so­wie Ru­dolf Gnä­gi und Pier­re Gra­ber. Im Be­richt die­ser Kom­mis­si­on wird un­ter an­de­rem ge­fol­gert: «Die Bot­schaft 1961 war zum Teil ten­den­zi­ös, zum Teil un­sorg­fäl­tig und an ein­zel­nen Stel­len ge­ra­de­zu ir­re­füh­rend ab­ge­fasst.» In der Fol­ge wur­de Flie­ger­chef Pri­mault ent­las­sen; Ge­ne­ral­stabs­chef An­na­sohn und Bun­des­rat Chau­det tra­ten zu­rück. Das EMD wurde re­or­ga­ni­siert, die par­la­men­ta­ri­sche Kon­trol­le ver­stärkt und der Lie­fer­um­fang von 100 auf 57 Ma­schi­nen re­du­ziert. Ein zwei­ter An­trag für einen un­um­gäng­li­chen Nach­trags­kre­dit von 150 Mil­lio­nen wur­de vom Par­la­ment 1965 an­ge­nom­men.

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Mehr In­fo zum Mi­ra­ge-Ge­schäft sie­he:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mirage-Affäre.

In der Be­völ­ke­rung tauch­ten na­tü­lich schon vor Er­schei­nen des PUK-Be­richts wü­ste Kor­rup­ti­ons­ver­mu­tun­gen auf. Da ja auch noch Bun­des­rat Chau­det Chef des EMD war, mach­te bald der Dia­lekt-Slo­gan die Run­de:
• “Läck Schmi­rasch, de Scho-dett isch no dett!”

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«P–26» — Die Ge­heim­armee

So et­wa zu En­de des «Kal­ten Krie­ges» wur­den die Bür­ger da­für sen­si­bi­li­siert, was so die Ge­heim­dien­ste al­les an Da­ten über (auch un­be­schol­te­ne) Bür­ger zu­sam­men­sam­mel­ten.

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Rück­sei­te einer Fi­che
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Rück­sei­te einer Fi­che
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In die­sem Zu­sam­men­hang platz­te un­ter an­de­rem die so­ge­nann­te «Fi­chen-Af­fä­re». Man­cher Bür­ger war bass er­staunt, was die Be­hör­den da so an In­for­ma­tio­nen über sei­ne Ge­wohn­hei­ten, sei­ne Rei­sen und sei­ne Freun­de al­les fi­chier­ten.

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Die so­ge­nann­te Fi­chen­af­fä­re war ein Skan­dal der neue­ren Schwei­zer Ge­schich­te in der End­pha­se des Kal­ten Krie­ges. Da­von ab­ge­lei­tet hat sich in der Schweiz das Wort «Fi­chen­staat» als Um­schrei­bung für einen «Schnüf­fel­staat» ge­bil­det. Et­wa 900'000 Staat­sschutz-Fi­chen wur­den zwi­schen 1900 und 1990 an­ge­legt, sie be­fin­den sich heu­te im Bun­des­ar­chiv.

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Zur Un­ter­su­chung des so­ge­nann­ten «Falls Kopp» be­schloss das Bun­des­par­la­ment am 31. Ja­nu­ar 1989, eine Par­la­men­ta­ri­sche Un­ter­su­chungs­kom­mis­sion (PUK) un­ter dem Vor­sitz des da­ma­li­gen Na­tio­nal­rats und spä­te­ren Bun­des­rats Mo­ritz Leu­en­ber­ger ein­zu­set­zen. Der Auf­trag um­fass­te auch eine de­tail­lier­te Un­ter­su­chung der zum Zweck des Staats­schut­zes von der Bun­des­an­walt­schaft be­trie­be­nen Da­ten­samm­lungs­ak­ti­vi­tä­ten mit­tels so­ge­nann­ter Fi­chen (Re­gi­ster­kar­ten), für wel­che die re­gu­lä­re Ge­schäfts­prü­fungs­kom­mis­si­on (GPK) nicht über aus­rei­chen­de Be­fug­nis­se ver­füg­te, ob­wohl sie seit Mai 1988 über Exi­stenz und An­zahl der Fi­chen in­for­miert war.

Mehr In­fo zur Fi­chen-Af­fä­re sie­he:
https://de.wikipedia.org/wiki/Fichenskandal.

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Ein Neben­ef­fekt die­ser Fi­chen-PUK war die Auf­dec­kung der «P–26».

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Rück­sei­te einer Fi­che

Die «P–26» war eine ge­hei­me Ka­der­or­ga­ni­sa­ti­on zur Auf­recht­er­hal­tung des Wi­der­stands­wil­lens in einer be­setz­ten Schweiz. Sie wur­de 1979/1981 als Nach­fol­gerin des Spe­zi­al­dien­stes in der Un­ter­grup­pe Nach­rich­ten­dienst und Ab­wehr (UNA) ein­ge­setzt und wur­de 1990 — im­mer noch im Auf­bau be­grif­fen — nach der Be­kannt­ma­chung durch die Par­la­men­ta­ri­sche Un­ter­su­chungs­kom­mis­si­on (PUK) durch den Bun­des­rat auf­ge­löst. Für die «P–26»-Mit­glie­der war in Frie­dens­zei­ten kei­ne Be­waff­nung vor­ge­se­hen, und die Re­kru­tier­ten kann­ten sich nicht zell­über­grei­fend. Vor­ge­se­hen war, dass sie aus­schliess­lich auf Be­fehl einer al­len­falls ver­blei­ben­den Exil­re­gie­rung ak­tiv ge­wor­den wä­ren.

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Es war das Zu­sam­men­tref­fen zwei­er Phä­no­me­ne, wel­ches die Ge­schich­te der «P–26» so bri­sant und letzt­lich zu einer Staats­kri­se mach­te:

  1. Einer­seits hat­te die (noch nicht ab­ge­schlos­se­ne) Fi­chen­affä­re des Ver­trau­en vie­ler Bür­ger in die Be­hör­den stark be­schä­digt.
  2. Ander­seits fliegt im glei­chen Mo­ment eine ge­hei­me, gue­ril­la­mäs­sig or­ga­ni­sier­te Ge­heim­ar­mee auf, aus der in den Augen vie­ler Bür­ger über­trie­be­nen Angst vor al­lem von Be­hör­den vor einer kom­mu­nis­ti­schen In­va­si­on ge­schaf­fen. Die klein­li­che Angst sol­cher Be­hör­den und eini­ger Su­per­pa­trio­ten hat­te sich ja auch schon in der Fi­chen­af­fä­re ge­zeigt. Und nun kam eine gan­ze Ge­heim­ar­mee und jeg­li­che ge­hei­me Waf­fen­la­ger zum Vor­schein.
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Die all­ge­mei­ne Angst ent­stand, dass der Staat, der so pein­lich sei­ne Bür­ger kon­trol­lier­te, dass die­ser Staat da­mit auch eine ‘Ge­sta­po’ ge­gen ge­nau die sel­ben Bür­ger plan­te. Dass da­mit eini­ge «P–26»-Mit­glie­der falsch ver­däch­tigt und ent­spre­chend ver­letzt wür­den, ist si­cher un­aus­weich­lich. Ob auch al­le wirk­lich nur red­li­che Ab­sich­ten hat­ten, ist wohl zu be­zwei­feln; aber nach­ge­wie­sen ist gar nichts.

Und nun hat eine To­des­an­zei­ge die gan­ze Prob­le­ma­tik wie­der hoch­ge­spielt.

Details: siehe Presse:
➔ Tages-Anzeiger©
#x2794; www.zumkuckucksei.net/Politik/krisen/TA-2016-07-13-P26.html Tages-Anzeiger© vom 14. Ju­li 2016 zum The­ma «P–26».

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Und heute

Natür­lich sind wir auch heu­te nicht ge­feit vor po­li­ti­schen Aus­wüch­sen. Und die­se kön­nen von be­lie­bi­ger Sei­te auf uns zu­kom­men. Staa­ten wer­den aber nur noch teil­wei­se mi­li­tä­risch er­obert. Heu­te wird man eher wirt­schft­lich er­presst, oder es droht ein Cy­ber-Krieg, nicht nur von Staa­ten, auch von Fir­men, und so­gar von Ideo­lo­gi­en oder Re­li­gio­nen.

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Ein viel­fäl­ti­ges Spek­trum an po­li­ti­schen Stim­men ist heu­te der bes­te Ga­rant für das Wohl un­se­res Staa­tes und sei­ner Be­woh­ner. Tra­gen wir Sor­ge da­zu. Noch im­mer gilt die Tat­sa­che, so­lan­ge kei­ne Par­tei oder Or­ga­ni­sa­ti­on die 30%-Li­mi­te über­steigt, ist ge­nü­gend Kon­trol­le si­cher. Wer im­mer aber die­se Li­mi­te über­trifft, der wird zu einer Ge­fahr für das Land; es spielt kei­ne Rol­le, wel­che Or­ga­ni­sa­ti­on es ist.

Das gilt für al­le Par­tei­en.