Catherine Boss
Baden — Die Finanzierung der Entsorgung radioaktiver Abfälle läuft europaweit aus dem Ruder. EU-Experten schätzen, dass für den Abbau der alten Meiler und die Entsorgung der Abfälle gegen 150 Milliarden Euro fehlen. «Der Spiegel» hat vergangene Woche ein entsprechendes EU-Papier publiziert.
Auch in der Schweiz muss laut Berechnungen von Spezialisten mit Mehrkosten von mehreren Milliarden Franken gerechnet werden. Die finanzielle Krise der Energiekonzerne nährt die Angst, dass am Schluss die Steuerzahler die Rechnung begleichen müssen.
Die prognostizierten Kosten für die Entsorgung des Atommülls sind in den letzten 20 Jahren horrend gestiegen: 1992 glaubte die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), ein Lager werde vier Milliarden Franken kosten. Seither sind die Berechnungen regelmässig nach oben korrigiert worden — bis auf 16 Milliarden Franken 2011. In den nächsten Monaten wird Swissnuclear, der Verband der Atombranche, eine neue Kostenstudie (KS16) präsentieren.
Geologe und Tiefenlagerspezialist Marcos Buser hat im Vorfeld errechnet, dass der Kostenschub mindestens weitere zwei Milliarden Franken betragen wird. Er hat in einer noch nicht publizierten Studie im Auftrag von Greenpeace die finanzielle Entwicklung untersucht. Ein besonderer Kostentreiber sind Verzögerungen im Zeitplan. Bereits 2014 hatte das Bundesamt für Energie (BFE) bekannt gegeben, der Zeitplan verzögere sich um zehn Jahre. Jetzt hat letzte Woche der Ausschuss der Standortkantone unter der Leitung des Zürcher Regierungsrats Markus Kägi die Nagra aufgefordert, auch den Standort Nördlich Lägern (ZH/ AG) weiter zu untersuchen. Die Nagra wollte darauf verzichten und nur noch Jura Ost (AG) und Zürich Nordost (ZH) prüfen.
Tiefenlagerspezialist Buser geht davon aus, dass dies die Lagersuche um weitere drei bis vier Jahre verzögert. Das würde, bei einer Verzögerung von insgesamt 14 Jahren, allein für den Betrieb der Nagra und das Zwischenlager Würenlingen Mehrkosten von mindestens anderthalb Milliarden Franken bedeuten.
Die Kosten für die Entsorgung des Atommülls müssen die Verursacher bezahlen — also die AKW-Betreiber. Der unabhängige Ökonom und Finanzmarktexperte Kaspar Müller sagt: Die Entwicklung zeige, wie wichtig die finanzielle Sicherheitsmarge von 30 Prozent sei, die der Bundesrat den Werken auferlegen wolle. «Doch die AKW-Betreiber bekämpfen dieses finanzielle Polster vehement». Beunruhigend sind für Müller auch Hinweise, dass der Kanton Zürich offenbar erwäge, seine Axpo-Aktien abzustossen. Die Axpo betreibt die AKW Gösgen, Leibstadt und Beznau. Auch die Baisse der Börse vermindere die finanziellen Mittel der AKW-Betreiber, sagt Müller. Bei der schlechten Finanzlage der Konzerne bezweifelt er zudem, dass die Rückstellungen ausreichten. Müller sagt: «Sollte am Schluss das Geld für die milliardenteure Entsorgung fehlen, haftet der Steuerzahler.» Das BFE sagt, die Kosten liessen sich erst beurteilen, wenn die Nagra zu Nördlich Lägern Dokumente abgebe.
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