Die anklagende Todesanzeige des früheren Mitglieds der Widerstandsorganisation P–26 sorgt für Wirbel. Historiker Felix Nöthiger, der die Anzeige aufgab und an der Rehabilitation der P–26 arbeitet, äussert Verständnis. Ex-Nationalrat Jo Lang sagt, der Bundesrat weigere sich, die Geschichte aufzuarbeiten.
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P-20
Bequeme Kissen, Telefon und Aschenbecher: Arbeitsraum in einer Bunkeranlage der P–26 bei Gstaad (1990).
Foto: Keystone
Bequeme Kissen, Telefon und Aschenbecher: Arbeitsraum in einer Bunkeranlage der P–26 bei Gstaad (1990).
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Unversöhnt bis in den Tod. Und darüber hinaus. Der Zorn von Hans-Rudolf Strasser, Deckname Franz, ist in jeder Zeile seiner Todesanzeige zu spüren. Verfasst hat er sie selber, vor über einem Jahr. Ihren Zweck hat sie erfüllt; Strasser, der wichtigste Mitarbeiter von Efrem «Rico» Cattelan, Chef der geheimen Widerstandsorganisation P–26, hat mit seiner Intervention gar eine Reaktion eines Alt-Bundesrats provoziert.
Und für einigen medialen Aufruhr gesorgt: Verschiedene Medien berichteten gestern über den Angriff von Strasser und seinen Freunden auf den ehemaligen Verteidigungsminister Kaspar Villiger, der unter einer «Fichenpsychose» gelitten und Strasser darum aus dem Amt gejagt habe. Villiger reagierte verhalten und mit Verständnis. Die Todesanzeige zeuge vom überzeugten Engagement und von der «nachvollziehbaren, bis heute andauernden Verletztheit» (TA von gestern).
Der Kopf hinter der Anzeige heisst Felix Nöthiger, ist Historiker und im Musée Résistance Suisse engagiert. Seit der Bundesrat 2009 die Schweigepflicht für die 400 Mitglieder der Widerstandsorganisation aufgehoben hat, arbeitet Nöthiger an der Rehabilitierung der kalten Krieger. Er hat verschiedene kantonale (und von links heftig kritisierte) Verdankungsanlässe organisiert und auch die Todesanzeige von Strasser aufgegeben. «Ich kann seine Bitterkeit verstehen», sagt Nöthiger, der die Anzeige auch als Zeichen an all jene versteht, die sich damals engagiert hatten — und nicht darüber sprechen durften. Nöthiger selber redet nicht gern mit den Medien, er ist misstrauisch und sagt das offen: «Und dann heisst es wieder, die P–26 sei eine illegale, dubiose Geheimarmee gewesen.» Die Verletzungen, die so deutlich in der Todesanzeige von Franz zu spüren sind — es sind auch die Verletzungen von Nöthiger.
Selbst 26 Jahre nachdem die im Zuge der Fichenaffäre enttarnte P–26 aufgelöst worden ist, entzündet sich beim Thema der gleiche alte Streit aus dem Kalten Krieg, mit den gleichen Ressentiments: Rechte schimpfen über linke Landesverräter, Linke über parastaatliche Untergrundkämpfer. Für die einen war die P–26 eine Organisation von aufrechten Schweizern, die in Zeiten höchster Not Widerstand gegen den Feind aus dem Osten geleistet hätte. Für die anderen eine demokratisch nicht legitimierte Geheimarmee mit einem rein ideologischen Zweck.
«Das waren Patrioten», sagt Martin Matter über die Mitglieder der P–26. Matter hat 2012 ein Buch über die Organisation geschrieben. Viele wollten sich jedoch partout nicht von der Vorstellung lösen, dass die Widerstandsorganisation eine bewaffnete Soldateska des rechtsbürgerlichen Fichenstaates war. Obwohl man es heute besser wissen müsste, meint Matter.
Mit den «vielen» meint Matter vor allem Politiker aus dem linken Lager. Leute wie den Historiker und ehemaligen Nationalrat der Grünen, Josef Lang. Der reagierte auf die Todesanzeige, indem er seine zwei abgelehnten Anfragen zum Thema verbreitete. 2005 und 2009 wollte Lang per Vorstoss vom Bundesrat die Herausgabe des als geheim klassifizierten Cornu-Berichts erzwingen, in dem die Verbindungen zwischen der P–26 und analogen Organisationen im Ausland aufgezeigt werden. Der Bundesrat lehnte zweimal ab und verwies auf die offizielle Sperrfrist von fünfzig Jahren. Erst 2040 wird man den Bericht und die offiziellen Akten zur P–26 einsehen können.
«Die P–26 war ein Staat im Staat. Der Bundesrat weigert sich bis heute, diese Geschichte richtig aufzuarbeiten», sagt Lang. Er könne die Verbitterung der Mitglieder der Organisation verstehen. Auf einer persönlichen Ebene, nicht einer politischen. «Sie haben viel Zeit und Energie für eine schlechte Sache geopfert.» Eine schlechte und gefährliche Sache: «Was hätte die P–26 gemacht, wenn es 1989 ein Ja zur GSoA-Initiative für eine Schweiz ohne Armee gegeben hätte? Für die meisten P–26-Mitglieder waren Vaterland und Armee identisch.»
Der Konflikt zwischen Verteidigern und Gegnern der P–26 sei der gleiche, der bei jeder Diskussion über die Armee auftauche, sagt der Baselbieter SP-Ständerat Claude Janiak, der als langjähriges Mitglied der Geschäftsprüfungsdelegation für Geheimdienstthemen sensibilisiert ist. In Sachen P–26 ist sein Urteil klar: «Was ausserhalb einer demokratischen Kontrolle steht, lässt sich rechtsstaatlich unmöglich rechtfertigen.»
Das ist auch der Konnex zur politischen Aktualität, zum Nachrichtendienstgesetz, über das wir im September abstimmen und das dem Geheimdienst Möglichkeiten verschafft, die sich die Mitglieder der P–26 nicht einmal erträumt hätten. «Es ist eine Frage der Transparenz», sagt der ehemalige CVP-Ständerat Carlo Schmid (AI), der die parlamentarische Untersuchung zur P–26 geleitet hat. «Im Herbst können wir sehenden Auges über mehr oder weniger Überwachung abstimmen. Das konnten wir bei der P–26 nicht.»
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Können Sie die Todesanzeige von Widerstandskämpfer Hans-Rudolf Strasser nachvollziehen?
Die Bitterkeit ist nachzuvollziehen, ja. Die Diabolisierung von damals, als die P–26 nach der Enttarnung als kriminelle Bande von ausgeflippten Rambos dargestellt wurde, hat Spuren bei den Mitgliedern hinterlassen. Wer damals dabei war, so mein Eindruck aus vielen Gesprächen, war überzeugt, sich für eine gute Sache einzusetzen. Das waren Patrioten.
Patrioten mit einem gespaltenen Verhältnis zum Staat. Anders sind die Angriffe auf den ehemaligen Verteidigungsminister Kaspar Villiger kaum zu erklären.
Die Anzeige liest sich wie eine letzte Kriegserklärung. Daraus spricht die grosse Enttäuschung über den mangelnden Support der damaligen Politiker und der Wunsch nach Rehabilitierung.
Ist denn eine Rehabilitierung der P–26 tatsächlich nötig?
Ja, darum habe ich auch mein Buch geschrieben. Bei der damaligen Beurteilung der P–26 lagen Medien und Politik völlig falsch. Das war kein bewaffneter Arm des Schnüffelstaates. Der ehemalige SP-Präsident Helmut Hubacher behauptet bis heute, dass die P–26 bei einem erdrutschartigen Sieg der Linken bei den Nationalratswahlen losmarschiert wäre. Habakuk! Die P–26 war keine Geheimarmee, sie war eine Organisation, die aus Kleinstzellen bestand, ohne Kontakt untereinander, sie wäre auch im Ernstfall nie als Einheit aufgetreten.
Zellen, bis an die Zähne bewaffnet.
Auch das ist ein falsches Bild. Über Waffen verfügte nur der kleinste Teil der 400 Mitglieder der P–26. Nur bei einer Besetzung der Schweiz wäre die P–26 aktiv geworden. Vor allem mit psychologischer Kriegsführung, zum Beispiel mit Schweizer-Kreuz-Ballonen, die überall in den Himmel gestiegen wären. Das mag heute lächerlich klingen, hätte aber in einem besetzten und unterdrückten Land, wo auf das Hissen der Schweizer Fahne die Todesstrafe gestanden wäre, grosse Wirkung gehabt. Zudem hätten die P–26-Leute Sabotageakte verübt.
Martin Matter Der ehemalige Journalist (72) ist Autor des 2012 erschienenen Buchs über die P–26: «Die Geheimarmee, die keine war». |
Martin Matter
Der ehemalige Journalist (72) ist Autor des 2012 erschienenen Buchs über die P–26: «Die Geheimarmee, die keine war».
Die Kritik liegt auf der Hand: Es war ein ideologisches Projekt.
Die P–26 war ein Kind des Kalten Krieges. Ihre Mitglieder waren Patrioten, vorab aus dem rechten politischen Spektrum. Aber hatten sie Putschabsichten, wie es heute immer noch überall heisst? Nein.
Rechtsstaatlich einwandfrei war die Organisation nicht.
Ja, es fehlte ein Ermächtigungsgesetz. Aber stellen Sie sich mal vor: Der Nationalrat beschliesst in einem Gesetz, dass die Schweiz eine Geheimarmee organisiert und finanziert, alle Details aber geheim sind. Das wäre niemals gegangen! Natürlich operierte die P–26 in einer rechtlichen Grauzone, aber kriminell war das nicht. Der gesamte Bundesrat wurde mehrmals informiert, und auch die Verteidigungsminister wussten Bescheid. Sie haben sich einfach unterschiedlich intensiv damit beschäftigt.
Sie wurden für Ihr Buch kritisiert: Sie hätten die P–26 reingewaschen.
Das hat mit dem Feindbild zu tun, das hartnäckig in den Köpfen bleibt. Man will sich partout nicht von der Vorstellung entfernen, dass die P–26 eine bewaffnete Soldateska des rechtsbürgerlichen Fichenstaates war. Obwohl man es heute besser weiss, sind viele nicht bereit, sich von diesem Bild zu lösen.
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