Beznau

Kom­pli­zier­te und auf­wen­di­ge Ar­bei­ten ste­hen an: Das Atom­kraft­werk Bez­nau, im Vor­der­grund die Aare.

Foto: Christian Hartmann (Reuters)

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Ein Loch im AKW Beznau Ⅰ

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Das Aar­gau­er Atom­kraft­werk pro­du­ziert we­gen Re­pa­ra­tur­ar­bei­ten ab Som­mer deut­lich we­ni­ger Strom. Laut Ax­po droht kei­ne Ver­sor­gungs­lüc­ke. Für AKW-Geg­ner ein Be­leg da­für, dass es Atom­strom nicht braucht.

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Von Stefan Häne

Seit dem 1. April läuft das Atom­kraft­werk Bez­nau nur mit hal­ber Kraft. Einer der bei­den Atom­mei­ler, der Block 1, ist ab­ge­schal­tet. Der Grund: Der Be­trei­ber des dienst­äl­tes­ten AKW der Welt, der Ener­gie­kon­zern Ax­po, muss 20 der 121 Brenn­ele­men­te im Re­ak­tor­kern aus­wech­seln — ein Vor­gang, der all­jähr­lich nö­tig wird. Die Ar­bei­ten dau­ern vor­aus­sicht­lich noch die­se Wo­che an.

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Ausser­ge­wöhn­lich ist hin­ge­gen, was im August an­steht. Der Re­ak­tor­druck­be­häl­ter im Block 1 be­nö­tigt nach 45 Be­triebs­jah­ren einen neu­en Dec­kel. Die­ser Er­satz er­folgt nicht et­wa, weil der ak­tu­el­le Dec­kel be­schä­digt wä­re — die Ax­po ver­si­chert, die­ser sei «voll­stän­dig in­takt». Die Mass­nah­me ist viel­mehr Teil der Ax­po-Stra­te­gie, in die Si­cher­heit von Bez­nau zu in­ve­stie­ren; ins­ge­samt 700 Mil­lio­nen Fran­ken sind da­für re­ser­viert. Den Ent­scheid da­zu hat die Ax­po ge­mäss eige­nen An­ga­ben En­de 2008 ge­fällt — al­so noch vor der Atom­ka­ta­stro­phe in Fu­ku­shi­ma (2011). Ge­lei­tet wur­de sie da­bei von Er­fah­run­gen «in bau­glei­chen An­la­gen» im Aus­land.

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Die Ar­bei­ten sind kom­pli­ziert und zeit­auf­wen­dig. So muss der Dec­kel ins so­ge­nann­te Con­tain­ment trans­por­tiert wer­den — in je­ne Struk­tur al­so, die den Re­ak­tor­druck­be­häl­ter um­hüllt und bei einem Un­fall die Ra­dio­ak­ti­vi­tät vor dem Aus­tritt ins Freie zu­rück­hal­ten soll. Weil die Schleu­sen die­ser Schutz­hül­le für einen Wech­sel des Dec­kels zu eng ge­baut sind, muss laut Ax­po eine «tem­po­rä­re Trans­port­öff­nung» ge­bohrt TOP wer­den — 7 Me­ter hoch und 5,40 Me­ter breit.

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Re­ak­tor 115 Tage ab­ge­stellt

Die Um­welt­or­ga­ni­sa­ti­on Green­pea­ce be­fürch­tet, dass der Aus­tausch des Dec­kels die Schutz­hül­le schwä­chen wird. Dem wi­der­spricht die Ax­po. Das Con­tain­ment wur­de beim Aus­tausch der Dampf­er­zeu­ger be­reits 1993 und 1999 ge­öff­net. Die­se Ar­bei­ten hät­ten das Ge­bäu­de nach­weis­lich nicht be­ein­träch­tigt, ver­si­chert die Ax­po und be­tont, das Vor­ge­hen sei mit der Atom­auf­sichts­be­hör­de des Bun­des ab­ge­stimmt. Zu den Si­cher­heits­vor­keh­run­gen geh­ört, dass wäh­rend des Dec­kel­wech­sels kein Brenn­stoff im Re­ak­tor sein wird.

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Die Ar­bei­ten wer­den ver­gleichs­wei­se viel Zeit be­an­spru­chen. Die Ax­po rech­net mit 115 Ta­gen; in Block 1 steht die Strom­pro­duk­ti­on al­so wäh­rend fast vier Mo­na­ten still, die Ein­bus­se be­trägt cir­ca 1 Te­ra­watt­stun­de (TWh) Strom — ein Drit­tel der Jah­res­pro­duk­ti­on von Block 1. Zu­sam­men mit Block 2 ge­ne­riert Bez­nau pro Jahr rund 6 TWh Strom — was in et­wa 10 Pro­zent des Schwei­zer Strom­ver­brauchs ent­spricht. Für Block 2 plant Ax­po die­sel­ben Ar­bei­ten, und zwar von März bis Ju­li 2015.

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Eine Lüc­ke in der Strom­ver­sor­gung re­sul­tiert aus die­sen Ab­schal­tun­gen nicht, wie die Ax­po ver­si­chert. Die Lie­fer­men­gen sei­en auf die­se Si­tua­ti­on ab­ge­stimmt, sagt eine Spre­che­rin. Kön­ne die Ax­po kei­ne oder zu we­nig in­län­di­schen Pro­duk­tions­ka­pa­zi­tä­ten für die si­che­re Strom­ver­sor­gung hoch­fah­ren, wer­de sie am Markt zu­sätz­lich Strom zu­kau­fen. Laut Ax­po lässt sich nicht prä­zi­sie­ren, wel­cher Art die­ser Strom ist — ob fos­sil, er­neu­er­bar oder ato­mar.

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Auch im Kan­ton Bern könn­ten dem­nächst 3 TWh Strom aus ato­ma­rer Pro­duk­ti­on weg­fal­len — Strom für et­wa 400'000 Men­schen. Am 18. Mai ent­schei­den die Ber­ner Stimm­bür­ger dar­über ab, das AKW Müh­le­berg so­fort still­zu­le­gen, wie dies die Volks­ini­tia­ti­ve «Müh­le­berg vom Netz» for­dert. Auch die Be­trei­be­rin von Müh­le­berg, die BKW, er­war­tet für die­sen Fall kei­nen Ver­sor­gungs­eng­pass. Der weg­fal­len­de Atom­strom lies­se sich kurz­fris­tig durch Zu­käu­fe am euro­päi­schen Markt er­set­zen.

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Dass die Strom­kon­zer­ne Er­satz be­schaf­fen kön­nen, wer­tet Green­pea­ce als schla­gen­den Be­weis: «Die Schweiz braucht für eine si­che­re Ver­sor­gung kei­nen Atom­strom», sagt Atom­spe­zia­list Flo­ri­an Kas­ser. Und schon gar nicht aus ur­al­ten An­la­gen wie dem AKW Bez­nau, des­sen Mei­ler 1969 re­spek­ti­ve 1971 in Be­trieb ge­gan­gen sind. Kas­ser spricht mit Blick auf die­se lan­gen Lauf­zei­ten von einem «ge­fähr­li­chen Ex­pe­ri­ment». Noch nie sei welt­weit ein Druck­was­ser­re­ak­tor so lan­ge be­trie­ben wor­den. Dass die Ax­po 700 Mil­lio­nen Fran­ken in Nach­rüs­tun­gen in­ves­tiert, be­zei­chnet Green­pea­ce als sinn­los, weil we­sent­li­che Ele­men­te wie die Schutz­hül­le aus bau­tech­ni­schen Grün­den nicht auf den ak­tu­el­len Stand der Tech­nik ge­bracht wer­den könn­ten. Das Geld wür­de das Un­ter­neh­men ge­schei­ter in er­neu­er­ba­re Ener­gi­en in­ve­stie­ren.

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Al­ter der An­la­ge als Pro­blem

Über die­se stra­te­gi­sche Fra­ge ist zu­letzt im Zür­cher Kan­tons­rat ein hef­ti­ger Streit ent­brannt. Die Ax­po ge­hört den Nord­ost­schwei­zer Kan­to­nen, der Kan­ton Zü­rich hält zu­sam­men mit sei­nem Elek­tri­zi­täts­werk EKZ knapp 37 Pro­zent der Ak­ti­en. Der Zür­cher Re­gie­rungs­rat stellt mit Mar­kus Kä­gi (SVP) und Mar­tin Graf (Grü­ne) zwei Ver­tre­ter im 13-köp­fi­gen Ax­po-Ver­wal­tungs­rat. SP, Grü­ne, AL und CSP woll­ten die Re­gie­rung ver­pflich­ten, in die­sem Gre­mi­um «Ein­fluss auf die ge­plan­ten In­ve­sti­tio­nen in nicht zu­kunfts­fä­hi­ge und un­wirt­schaft­li­che Strom­pro­duk­ti­on zu neh­men». Sie war­fen der Ax­po vor, das Si­cher­heits­ar­gu­ment bloss vor­zu­schie­ben in der Ab­sicht, Bez­nau mög­lichst lan­ge lau­fen las­sen zu wol­len.

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Doch die bür­ger­li­che Mehr­heit im Par­la­ment stemm­te sich wie der Re­gie­rungs­rat ge­gen den Vor­stoss, weil die Aus­ga­ben von 700 Mil­lio­nen Fran­ken weit­ge­hend schon ver­plant sei­en. Po­li­ti­ker aus SVP und FDP rie­fen zu­dem in Er­in­ne­rung, dass die fünf Schwei­zer AKW zu­sam­men 40 Pro­zent des Stroms im Land er­zeu­gen und dass die Be­völ­ke­rung ein Recht auf si­cher be­trie­be­ne An­la­gen ha­be.

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Schliess­lich ver­wie­sen sie auf den Bund als Takt­ge­ber in der Atom­po­li­tik: So ha­be es das eid­ge­nös­si­sche Par­la­ment in Bern ab­ge­lehnt, die Be­triebs­dau­er po­li­tisch zu be­gren­zen. Die­se Ar­gu­men­ta­ti­on ist ganz im Sinn der Ax­po, die ih­re AKW län­ger als 50 Jah­re be­trei­ben will. Zur Ein­ord­nung: Die Grü­ne Par­tei will per Volks­ini­tia­ti­ve ma­xi­ma­le Lauf­zei­ten von 45 Jah­ren durch­set­zen. Bez­nau Ⅰ müss­te da­mit heu­er schon vom Netz, Bez­nau Ⅱ 2016.

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Das ho­he Al­ter der bei­den Bez­nau-Re­ak­to­ren hat be­reits heu­te Spu­ren hin­ter­las­sen. Atom­ex­per­te Ste­fan Füg­lis­ter hat jüngst im Auf­trag von Green­pea­ce Schweiz die Be­triebs­ab­wei­chun­gen der letz­ten zehn Jah­re un­ter­sucht und klas­si­fi­ziert. Sein Fa­zit: Von den 71 auf­ge­zeich­ne­ten Vor­komm­nis­sen steht mehr als die Hälf­te im Zu­sam­men­hang mit dem Al­ter der An­la­ge; da­zu ge­hö­ren zum Bei­spiel Ver­schleiss­er­schei­nun­gen, aber auch die tech­no­lo­gi­sche Ver­al­tung und Män­gel beim Bau. Die Ax­po re­la­ti­viert: Bei we­ni­ger als einem Drit­tel der Vor­komm­nis­se hät­ten die Ex­per­ten als mög­li­che Ur­sa­che die Al­te­rung eines Bau­teils iden­ti­fi­ziert.

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