Seit Sonntag läuft das Atomkraftwerk Mühleberg nach der vierwöchigen Sommerrevision wieder auf Volllast. Gestern nun teilte der Berner Energiekonzern BKW mit, dass während der Revision acht neue Risse im Kernmantel des AKW entdeckt wurden. Risse im Kernmantel sind nichts Neues: Sie wurden erstmals 1990 entdeckt und wuchsen seither. Die BKW verweist jeweils darauf, dass sie 1996 vier Zuganker montiert hat, die den Kernmantel stabilisieren.
Neu ist die Art der entdeckten Risse. Der Kernmantel, der wichtige Sicherheitseinrichtungen hält, besteht aus zusammengeschweissten Stahlzylindern. Bisher befanden sich die Risse horizontal auf den Schweissnähten. Die acht neuen Risse verlaufen vertikal von oben nach unten. Sie sind bis zu 10 Zentimeter lang. «Beunruhigend» sind die neu entdeckten Risse für Jürg Aerni von der Organisation Fokus Anti-Atom. «Erstmals handelt es sich nicht mehr nur um horizontale Risse, sondern auch um Risse senkrecht zu den Schweissnähten. Zudem gehen sie über die Schweissnaht hinaus in das Stahlblech des Kernmantels hinein. Auch dies ist neu.»
Problematisch sei vor allem, dass die vier Zuganker, mit denen die BKW den rissigen Kernmantel bisher stabilisiert, «gegen senkrechte Risse nicht oder kaum stabilisierend wirken». Für Aerni braucht die BKW «wegen der neuen Risse ein neues Reparaturkonzept für den Kernmantel». Er fordert: «Bis dieses definiert und umgesetzt ist, muss das AKW abgeschaltet werden.»
Für die BKW haben die «neu entdeckten Anrisse keine sicherheitstechnische Relevanz», wie sie mitteilt. Sie habe «die Integrität des Kernmantels mit einer hohen Sicherheitsmarge nachweisen» können. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) gab vergangene Woche bekannt, dass es die Inbetriebnahme von Mühleberg nach der Revision erlaubt hat – ohne in der Medienmitteilung die neu entdeckten Risse zu erwähnen. «Für den kommenden Betriebszyklus stellen die neuen Risse sicherheitstechnisch kein Risiko dar», sagte gestern ein Ensi-Sprecher der Nachrichtenagentur SDA. Der Zyklus dauert ein Jahr. Die BKW muss allerdings bis Ende Oktober in einem Konzept präzisieren, wie sie den Kernmantel aufgrund der neuen Situation instand halten will.
Simon Thönen
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