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![]() AKW Leibstadt: Versehentlich Reaktorschutzhülle angebohrt (Bild: KEYSTONE) |
![]() “Die Vorgänge im AKW Leibstadt sind Indizien für eine unzureichende Sicherheitskultur” Rita Schwarzelühr-Sutter, Staatssekretärin, Berlin |
“Die Vorgänge im AKW Leibstadt sind Indizien für eine unzureichende Sicherheitskultur”
Rita Schwarzelühr-Sutter, Staatssekretärin, Berlin
Die deutsche Reaktorsicherheitsbehörde sieht bei Schweizer Atomkraftwerken «Indizien für eine unzureichende Sicherheitskultur». Nun suchen die Schweizer AKWs neues Personal.
Die deutsche Reaktorsicherheitsbehörde sieht bei Schweizer Atomkraftwerken «Indizien für eine unzureichende Sicherheitskultur». Nun suchen die Schweizer AKWs neues Personal.
Die Schweizer AKW-Aufsicht Ensi beurteilte im vergangenen Jahr den Betrieb aller fünf Atomkraftwerke als «sicher». Das ist erstaunlich. Denn im AKW Leibstadt gab es in dieser Periode 10 meldepflichtige Vorkommnisse, in Gösgen 9. Das liegt über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre und ist mehr als in Mühleberg und Beznau. Dort gab es 2015 je 7 Vorkommnisse. Meldepflichtige Vorkommnisse sind laut Kernenergieverordnung etwa «Funktionsstörungen, die länger als 24 Stunden andauern».
Beznau und Mühleberg zählen zu den ältesten Atomkraftwerken der Welt. Sie stehen seit Jahren wegen technischer Probleme wie Rissen im Reaktordruckbehälter in der Kritik. Die jüngeren AKWs in Leibstadt und Gösgen kämpfen vor allem mit einer mangelhaften Qualitätssicherung:
Vorfall 1:
In Leibstadt
funktionierten Ende September
2014 während elf Tagen
beide Notstandssysteme
nicht. Die zwei Grundwasserpumpen
waren gleichzeitig
ausgefallen. Das AKW
hielt sich schlicht nicht an
die eigenen Wartungstermine.
Die Atomaufsicht Ensi
rügte die «unzureichende
Wartungsplanung».
Vorfall 2:
Bei der Montage
von Feuerlöschern hatte ein
Servicemonteur sechs Löcher
in die innere Stahlhülle
des AKWs Leibstadt gebohrt.
Grund: Das AKW hatte den
externen Arbeiter nicht richtig
instruiert.
Die Löcher in der Reaktorschutzhülle blieben sechs Jahre lang unentdeckt. Erst im Juni 2014 erkannte das Ensi die Löcher, rügte «bedeutende organisatorische Mängel» und verlangte Verbesserungen. Laut Greenpeace hatten die Ensi-Kontrolleure zuvor versagt.
«Die Vorgänge im AKW Leibstadt sind Indizien für eine unzureichende Sicherheitskultur», kritisiert Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter vom Deutschen Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit. Die Sicherheitskultur sei eine der zentralen Aufgaben der Geschäftsleitung eines AKWs.
Vorfall 3:
Ein Mitarbeiter
im AKW Gösgen machte im
Juli 2015 einen Bedienfehler.
Es kam zu einer automatischen
Reaktor-Schnellabschaltung.
Das Ensi schloss
die Untersuchung des Vorfalls
im Januar ab: Der Bericht
erwähnt «Mängel der
Qualitätssicherung» sowie
das «mehrfache Auftreten
von menschlichen Fehlern»:
Hilfsmittel wie Dokumentationen
seien nicht verwendet
und das Vier-Augen-Prinzip verletzt worden.
Vorfall 4:
Im Juni 2014
und im Juni 2013 führte in
Gösgen jeweils eine Fehlmanipulation
zum automatischen
Anspringen der Notstromdieselgeneratoren.
Im zweiten Fall hatte ein Mitarbeiter
während der Jahresrevision
«versehentlich» einen
falschen Schalter betätigt.
Darauf brach die externe
Stromversorgung zusammen.
Eine Atomanlage
braucht selbst im ausgeschalteten
Zustand Strom,
um das Wasser um die radioaktiven
Brennelemente herum
zu kühlen.
Die AKWs wollen nun neues Personal einstellen: Das AKW Gösgen sucht einen «Fachexperten für Qualitätssicherung». Zu seinen Hauptaufgaben zählt die «Überwachung der vorschriftsgemässen Arbeitsausführung». In Leibstadt ist unter anderem ein «Fachingenieur Instandhaltplanung» gesucht. Zu seinen Hauptaufgaben gehört die «Ausbildung von externen Mitarbeitern».
Yves Demuth
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