Sehr geehrte Frau Präsidentin Masoni, Sehr geehrter Herr Tettamanti, Sehr geehrte Damen und Herren.
Ich danke Ihnen für Ihre Einladung. Es ist ein Privileg, hier
über Presse und Demokratie nachzudenken. Normalerweise kommt man nicht
dazu. Man sitzt in seinem Büro mit halb geleerten Eisteeflaschen und
halb fertigen Texten und denkt nicht an Demokratie.
Im Grunde braucht es das auch nicht. Denn bei den spektakuläreren
Momenten des Schreibens – den Momenten der Erkenntnis, des Zorns, des
Witzes – ist man ganz bei sich, und das ist gut so. Denn am stärksten
ist Journalismus, wenn er so einfach wie möglich ist: Wenn er die Stimme
eines einzelnen Menschen ist, der sagt, was er gesehen oder gedacht
hat.
Der wichtigste Moment, in dem ich im Alltag an die Wirkung, also
das Publikum, also im weitesten Sinne an die Demokratie denke, passiert
in den stillsten, unspektakulärsten Teilen des Textes. Dort, wo ich
unauffällig Erklärungen nachschiebe, etwa, was zum Teufel ein Derivat
ist oder wie sich eine Transaktion genau abgespielt hat.
Ich feile oft am längsten an diesen stillen Passagen,
denn sie müssen klar und genau sein, trotz aller Knappheit.
Denn das ist meine wichtigste Aufgabe als Journalist, mein
Service an die Öffentlichkeit: präzis die Grundlagen zu liefern, von
denen aus diskutiert werden kann. Mein Job ist, eine komplexe Welt
verständlich zu machen, ohne ihre Komplexität zu verraten. Der Rest,
nicht zuletzt meine Meinung, ist sekundär: Es ist der Anstrich des
Hauses, nicht sein Fundament.
Immer gegen den Mainstream
Deshalb zweifle ich auch an der Art Journalismus, den Sie als
Verein fördern. Sowohl handwerklich als auch, ob dieser die Demokratie
stützt. Ihre Medienvielfalt Holding AG hat bisher in ähnlicher Besetzung
zwei Blätter neu lanciert: die «Weltwoche» und die «Basler Zeitung».
Beide mit Herrn Tettamanti als Hauptaktionär, Herrn Matter als Banker,
Herrn Wagner als Anwalt, Herrn Leutenegger als Verlagschef. Und mit
Herrn Blocher als Hauptgesprächspartner des Chefredaktors.
Ihre Zeitungen sollen, wie Ihr Verein im Namen schon sagt, die
Medien- und die Meinungsvielfalt fördern. Dazu, wie man liest, wollen
Sie Transparenz schaffen und Denkblockaden abbauen. Doch mit welchen
Mitteln tun Sie das?
Nun, wenn man die «Weltwoche» ansieht, so ist deren technischer
Haupttrick, das Gegenteil vom sogenannten Mainstream zu schreiben. Das
erscheint zunächst als gute Idee: Das Gegenteil der allgemeinen Gedanken
ist oft ein inspirierender Gedanke. Die Frage ist nur, ob es auf lange
Sicht eine kluge Strategie ist.
Ich glaube das nicht, aus folgenden Gründen:
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Zunächst ist schon die Annahme seltsam, dass der Mainstream
immer falsch liegt. Noch seltsamer ist die Annahme, dass er immer genau
falsch liegt: um 180 Grad, so wie eine Kompassnadel, die stets nach
Süden zeigt.
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Am Anfang kann man mit Anti-Mainstream die Leute verblüffen,
ärgern, vielleicht sogar zum Denken bringen. Aber ziemlich bald ist
diese Strategie nichts als negativer Opportunismus: Man sagt stets das
Gegenteil des vermuteten Konsenses. Und ist dadurch im Kopf vom
Mainstream genauso abhängig wie sonst nur der modischste Mensch.
-
Die Themenwahl eines solchen Blattes wird extrem berechenbar:
Die eskalierende Finanzkrise — existiert nicht; Fukushima – war keine
Katastrophe; Berlusconi und Putin — sind ehrenwerte Männer; das
Weltklima – kühlt sich ab; Frauen — sind das regierende Geschlecht;
Radioaktivität — ist gesund.
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Die Folge: Sie werden unglaubwürdig. Zwar wären viele Thesen –
etwa dass Radioaktivität gesund, Bundesrätin Widmer-Schlumpf eine
Landesverräterin oder der Klimawandel eine Massenverblendung von
Tausenden Experten ist — interessant. Aber dadurch, dass gar nichts
anderes in dem Blatt stehen kann – also kein positives Wort über
Widmer-Schlumpf, nicht, dass Fukushima doch eine Katastrophe war —, ist
ihr Dynamit nass geworden: Man hat nun bei jeder These in der
«Weltwoche» das Gefühl, man müsse sie erst persönlich nachrecherchieren.
Und dazu fehlt einem die Zeit.
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Das auch, weil das Blatt durch seine Berechenbarkeit längst kaum mehr aufregt.
Es langweilt. Es langweilt immer mehr.
Um die «Weltwoche» überhaupt lesen zu können, muss man ihr also
glauben. Durch ihre Strategie des konstanten Anti-Mainstreams ist die
ganze Zeitung zur Glaubensfrage geworden: Man glaubt ihr alles oder
nichts. Doch mit diesem Sprung vom Informationsmedium zur Glaubenssache
verkörpert sie nicht nur das Gegenteil von Kritik. Sondern ist auch das
Gegenteil von Service für die Demokratie.
Sie riskieren mehr als Geld: Sie riskieren Realitätsverlust.
Der Bau von Paralleluniversen
Denn die Aufgabe der Presse ist ja, mal recht, mal schlecht,
einen Mainstream herzustellen: eine holprige, vage, aber dennoch
brauchbare Einigung über Fakten und Einschätzungen, aufgrund deren man
debattieren kann.
Wenn aber nun mit Mainstream und Anti-Mainstream zwei
Paralleluniversen mit je eigenen Fakten und Logiken bestehen, ist das
ein Schaden für die Demokratie. Dann gibt es keine Gemeinsamkeiten,
keine Grundlagen mehr, sondern nur noch Meinungen. Und Anhänger davon.
Also zwei Lager, die nicht verschiedene Ansichten, sondern verschiedene
Wirklichkeiten haben.
Es ist kein Wunder, dass die «Weltwoche» dieses Lagerdenken immer stärker betont:
Es gibt nur noch wir und ihr.
Kein Wunder, schleichen sich paranoide Züge in ihre Weltsicht ein:
etwa, wenn sie ernsthaft behauptet, die seit mehr als 150 Jahren
bürgerliche Schweiz werde in Wahrheit von getarnten Sozialisten regiert.
Und typisch wie für jedes Lagerdenken ist ihre zunehmende
Polizeimentalität: Politiker, Publizisten, Professoren erscheinen auf
Fahndungsplakat-Titelblättern als Irrlehrer oder Landesverräter.
Zwar wird — wegen ihrer Berechenbarkeit — die Kraft der
«Weltwoche», Themen durchzusetzen, zunehmend kleiner. Nichts, was sie
schreibt, überrascht mehr. Aber ihr Drohpotenzial ist intakt: Schon
wegen des engen Bündnisses mit dem reichsten Politiker des Landes wird
die «Weltwoche» gefürchtet. Das nicht zuletzt in der Partei von
Christoph Blocher selbst.
Investieren in Realitätsverlust
Der Aufbau einer Parallelwelt ist aber auch gefährlich für Sie,
meine Damen und Herren. Für alle, die an die «Weltwoche» glauben. Das
grosse Vorbild für alle Medien, die vor allem politischen Einfluss
suchen, ist Fox News. Fox hat den Durchbruch geschafft: Die
Republikanische Partei der USA hat mit der Speerspitze Fox ein eigenes,
geschlossenes Mediensystem aus Radioshows, Magazinen und Blogs
errichtet. Und damit ihre eigene Wahrheit, ihre eigenen Fakten, ihr
eigenes Universum. Und hat sich dadurch zunehmend radikalisiert. So
radikalisiert, dass nicht nur die Politik des ganzen Landes durch zwei
Wirklichkeiten gelähmt ist. Sondern auch die republikanische Partei sich
selbst sabotiert: Bei der jüngsten Wahl sorgten etwa vier Milliardäre
im Bündnis mit ultrakonservativen Fox-Moderatoren dafür, dass in den
Vorwahlen die radikalen Konkurrenten von Mitt Romney fast bis zum
Schluss im Rennen blieben. Und ihn weit in ihre Parallelwelt nach Rechts
trieben. Obwohl Wahlen in der Mitte gewonnen werden.
Am Ende glaubte der unglückliche Kandidat Romney selbst an die
FoxWelt: Wie man jetzt liest, glaubte er tatsächlich, dass sämtliche
Zahlen von neutralen Umfrageinstituten falsch seien. Also dass in
Wahrheit er weit vorne liege, weil alle ausser den parteieigenen
Spezialisten und den Fox-Experten sich irrten. Darauf baute Romney dann
eine vollkommen falsche Kampagnentaktik. Die Niederlage traf den
Kandidaten, sein Team, seine Geldgeber, die ganze Partei dann völlig
unerwartet. Das Paralleluniversum zerschellte an der Wirklichkeit.
Sie, meine Damen und Herren, riskieren also als Investoren in
eine mediale Gegenwelt mehr als nur viel Geld: den Realitätsverlust.
Denn die Denkverbote sind heute längst auf Ihrer Seite.
Etwa wenn Roger Köppel sagt:
«Die Wirtschaft wird durch den Wettbewerb kontrolliert. Als
Journalist kann ich mir nicht anmassen, Unternehmen oder das Management
zu kritisieren. Kritische Unternehmensberichterstattung ist nicht Sache
des Journalismus.»
Wenn ein Profi-Beobachter die halbe Welt aus der Kritik, ja
überhaupt aus dem Blick ausschliesst, dann sollten Sie gewarnt sein: So
etwas ist die Haltung eines Ideologen.
Die Hauptprobleme der BaZ
Damit zu Ihrem aktuellen Projekt, der «Basler Zeitung». Es ist
unschwer zu erkennen, dass Sie damit versuchen, das Projekt «Weltwoche»
zu kopieren, «die ja schon das Richtige tut», wie Ihr Hauptaktionär Tito
Tettamanti sagt.
Und tatsächlich läuft alles wieder gleich ab: Sie haben Köppels
langjährige Nummer zwei als Chefredaktor eingesetzt, wie in der ersten
Zeit nach der Machtübernahme Köppels gibt es Verwirrung und Protest
überall, der neue Chef beschwört — wie einst Köppel – den «Pluralismus»:
und zwar mit demselben Konzept von Pluralismus als Polemik von beiden
Seiten. In der Praxis heisst das: Einige linke Alt-Politiker schreiben
Feigenblatt-Kolumnen, während wie damals bei der «Weltwoche» mehrere
Säuberungswellen durch die Zeitung jagen. Die alten Redaktoren gehen —
linientreues Personal kommt.
Die Frage bleibt, wie Sie hier Ihre grossen Ziele Vielfalt,
Transparenz, Pluralismus verwirklichen wollen. Sie haben mindestens zwei
Probleme:
-
Ihr Chefredaktor, Markus Somm, ist ein Mann, der sein halbes
Leben lang sämtliche Leute als zu wenig links kritisierte. Heute
kritisiert er sie als zu wenig rechts. Dieser Mann ist im Kern kein
Journalist. Er ist nicht einmal ein politischer Mensch. Denn sein
Standpunkt ist immer – links wie rechts – jenseits des politisch
Möglichen. Sie haben als Boss einen Prediger gewählt.
-
Sie, meine Damen und Herren, stehen selbst im Verdacht,
Marionetten zu sein. Nehmen wir die berühmte Vorgeschichte Ihrer
Übernahme der «Basler Zeitung»: Ein Parteiführer und Milliardär lässt im
Geheimen seine Tochter eine Zeitung kaufen und schiebt gegenüber der
Öffentlichkeit einen Flugunternehmer als Besitzer vor und gegenüber den
Banken den ehemaligen Chef einer Grossbank. Und all das, um seinen
Biografen als Chefredaktor einzusetzen. Das ist eine Geschichte, die
klingt wie aus Russland. So etwas tun Oligarchen.
Zwar behaupten Sie, Herr Blocher habe in Ihrer Holding nichts
mehr zu sagen. Er würde nur noch das Defizit decken. Was ich nicht
verstehe, ist: Warum haben Sie dann den gesamten Jasstisch eines der
beiden Strohmänner, des Ex-UBS-Chefs Marcel Ospel, in den Verwaltungsrat
geholt, wenn Ihnen Ihr Ruf als Unabhängige lieb ist?
Kein Wunder, haben Sie mit Ihrer Zeitung furchtbare Probleme: Die
Auflage hat ein Viertel verloren, Herr Blocher hat bereits 20 Millionen
eingeschossen und fungiert — wie erst letzte Woche in der «NZZ am
Sonntag» — als Unternehmenssprecher, der die Strategie — eine «nackte
Zeitung ohne Druckerei» — bekannt gibt. Und der politische Erfolg hält
sich auch in Grenzen: Nach einer monatelangen Kriminalitätskampagne in
der «Basler Zeitung» wurde kein Einziger der Politiker, die in der BaZ
darauf einstiegen, in die Regierung gewählt; und im Parlament gewann die
SVP nur einen einzigen Sitz dazu.
Diese Rechnung ist sogar für einen Milliardär teuer:
20 Millionen für einen Sitz in einem Regionalparlament.
Drei Ratschläge
Was also sollten Sie tun?
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Wenn Ihnen tatsächlich eine rechtskonservative Parallelwelt
am Herzen liegt, dann deklarieren Sie die «Basler Zeitung» offen als
Parteiblatt. Es gibt enorm Kraft, nicht mehr dauernd Verstecken spielen
zu müssen.
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Wenn Ihnen hingegen die Pressevielfalt am Herzen
liegt, dann schaffen Sie mit Ihrem Geld, statt es in Basel zu
verbrennen, eine Stiftung, die kritischen Journalismus unterstützt.
Meinetwegen auch nur konservativen. Denn die Uniformität in einigen
Teilen der Presse geht nicht auf Denkverbote oder Ideologie zurück,
sondern meist auf Zeit-, also auf Geldmangel.
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Wenn Ihnen aber politische Ziele wie
Deregulierung, Stärkung der Banken, sowie Einfluss von finanzkräftigen Individuen
am Herz liegen, so tun sie am allerbesten: gar nichts. Denn die
Erfahrung zeigt: Je schlechter die Leute informiert sind, desto
mächtiger sind die bereits Mächtigen. Und bei der gegenwärtigen
Schrumpfung der Presse regelt Ihr Anliegen dabei tatsächlich am besten
der, der angeblich alles regelt: der Markt.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Einladung. Einen Kritiker
einzuladen, beweist zumindest Neugier. Deshalb bedaure ich sehr, Ihnen
sagen zu müssen, dass ich für Ihr Projekt, so wie es ist, keine Chance
auf Erfolg sehe: nicht publizistisch, nicht finanziell, nicht politisch.
Und dass ich auch zweifle, ob ein Erfolg Ihres Projekts — für die
Presse wie für die Demokratie — überhaupt wünschbar wäre.