DAS MAGAZIN

Die Instandsetzung des Gotthard-Strassentunnels

Magazin
DAS MAGAZIN vom 23. Januar 2016, Titelseite

Er ist der Über­va­ter des Brüc­ken­baus. 90 Stras­sen- und Eisen­bahn­brüc­ken hat der eme­ri­tier­te ETH-Pro­fes­sor Chri­sti­an Menn ent­wor­fen, kon­zi­piert, ge­baut, nicht nur in den Schwei­zer Al­pen, son­dern rund um den Glo­bus. Mit sei­nen für Schlicht­heit und Ele­ganz be­rühm­ten Bau­wer­ken hat er einen his­to­ri­schen Bei­trag ge­lei­stet zur Ent­wick­lung des schwei­zer Na­tio­nal­stras­sen­net­zes. Menn pflegt einen kon­se­quen­ten Funk­tio­na­lis­mus, oh­ne Fir­le­fanz, oh­ne Uber­flüs­si­ges, mit Äs­the­tik und Ef­fi­zi­enz. der 88-Jäh­ri­ge ist eine In­ge­nieurs­le­gen­de.

Aber heu­te ist Chri­sti­an Menn zor­nig. Sei­ner An­sicht nach ver­läuft die De­bat­te um die zwei­te Gott­hard­röh­re in fal­schen Bah­nen. Er be­klagt, dass es kei­nen Kon­zept­wett­be­werb ge­ge­ben hat, dass nicht ge­nü­gend Va­ri­an­ten ge­prüft wor­den sind. Und er hat eine eige­ne Lö­sung. Sie ist be­ste­chend ele­gant und we­sent­lich gün­sti­ger als die ge­plan­te zwei­te Röh­re.

Ganz egal, wie man zur Fra­ge des Tun­nel­aus­baus steht, in einem Punkt wird man Menn recht ge­ben: der Ent­schei­dungs­pro­zess um die zwei­te Röh­re ist selt­sam. Als der Bun­des­rat 2012 den Bau eines zwei­ten Tun­nel­rohrs be­schloss, wur­de die De­bat­te von zwei Ar­gu­men­ten be­herrscht: Ers­tens, hiess es, müs­se der be­ste­hen­de Tun­nel bis spä­tes­tens 2025 sa­niert wer­den. Und zwei­tens sei eine Sa­nie­rung nur bei einer Voll­sper­rung des Tun­nels an min­des­tens 140 Ta­gen zu be­werk­stel­li­gen. Ein ge­sperr­ter Gott­hard? Um das zu ver­hin­dern, muss eine zwei­te Röh­re her. Heu­te gel­ten die­se Sach­zwän­ge je­doch nicht mehr. En­de No­vem­ber kam das Bun­des­amt für Stras­sen zum Schluss, dass der Gott­hard­tun­nel durch ein­fa­che Un­ter­halts­mass­nah­men bis zum Jahr 2035 voll funk­ti­ons­tüch­tig blei­ben kann und dass eine Voll­sper­rung in den näch­sten zwan­zig Jah­ren nicht not­wen­dig ist. Müss­te man jetzt nicht über die Bü­cher? Wur­de über­has­tet ge­plant?

Un­an­ge­neh­me Fra­gen ste­hen im Raum. Auch des­halb pub­li­ziert «Das Ma­ga­zin» die Zu­sam­men­fas­sung von Chri­sti­an Menns Ver­kehrs­lö­sung für den Gott­hard.

Daniel Binswanger

(Variante)

Ende Feb­ru­ar wird über die Ver­wirk­li­chung eines Zwei-Röh­ren-Kon­zep­tes (ZRK) für den Gott­hard­stras­sen­ver­kehr ab­ge­stimmt. Die zwei­te Röh­re ist je­doch keine op­ti­ma­le Lö­sung für die Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und die Sa­nie­rung des be­reits exi­stie­ren­den Stras­sen­tun­nels. Es gä­be eine bes­se­re Va­ri­an­te, die min­des­tens sie­ben Vor­tei­le hät­te:

  1. 700 Mio. Fran­ken ge­rin­ge­re Bau­kos­ten
  2. We­sent­lich nied­ri­ge­re Kos­ten für Be­trieb und Un­ter­halt
  3. Un­ge­fähr glei­che Ver­kehrs­si­cher­heit
  4. Gros­se wirt­schaft­lich-tou­ri­sti­sche Vor­tei­le für die Gott­hard­re­gi­on
  5. Kei­ne Ver­kehrs­ver­la­ge­rung auf die San-Ber­nar­di­no-Rou­te und an­de­re Nord-Süd-Ach­sen
  6. Kei­ne Nach­tei­le bei künf­ti­gen Sa­nie­run­gen
  7. Kei­ne For­de­run­gen der EU be­züg­lich Aus­bau der An­la­ge auf vier Spu­ren
Christian Menn
Christian Menn

Einleitung (Aus­zug aus einem de­tail­lier­ten Be­richt)

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Der be­ste­hen­de Gott­hard-Stras­sen­tun­nel muss ge­mäss Bun­des­amt für Stras­sen (ASTRA) so bald wie mög­lich um­fas­send in­stand ge­setzt wer­den. Autor des Vor­pro­jekts ist das Bun­des­amt, das in einer ers­ten Pla­nungs­pha­se vier Va­ri­an­ten mit un­ter­schied­lich lan­ger To­tal­schlies­sung des Tun­nels un­ter­such­te, die­se aber schliess­lich ver­warf. Die als un­ab­ding­bar be­trach­te­te For­de­rung nach einer auch wäh­rend der Sa­nie­rungs­ar­bei­ten of­fe­nen Stras­sen­ver­bin­dung durch den Gott­hard lies­se sich je­doch mit dem Bau einer Pa­ral­lel­röh­re zum be­ste­hen­den Tun­nel und der an­schlies­sen­den Ver­kehrs­um­la­ge­rung von der al­ten zur neu­en Röh­re er­fül­len. Die­se aus­ser­or­dent­lich teu­re Va­ri­an­te — eben das Zwei-Röh­ren-Kon­zept — wur­de den eid­ge­nös­si­schen Rä­ten un­ter­brei­tet und zur Aus­füh­rung em­pfoh­len. im de­fi­ni­ti­ven Be­trieb soll — je­den­falls ge­mäss der heu­te gel­ten­den Pla­nung — in bei­den Röh­ren nur eine Fahr­spur be­nutzt wer­den. Zu kei­nem Zeit­punkt wur­de ein Kon­zept­wett­be­werb durch­ge­führt. Man er­kennt leicht, dass das ZRK vor al­lem we­gen der hor­ren­den Bau- und Be­triebs­kos­ten nicht op­ti­mal sein kann. Des­halb ent­wic­kel­te ich vor einem Jahr eine Va­ri­an­te mit deut­lich ge­rin­ge­ren Bau­kos­ten, et­wa gleich ho­her Ver­kehrs­si­cher­heit und gros­sen tou­ris­tisch-wirt­schaft­li­chen Vor­tei­len für die Gott­hard­re­gi­on. Im Grund­satz weist die Idee eine Ähn­lich­keit mit dem ZRK auf: es wird eine zwei­te Röh­re ge­baut, die aber we­sent­lich kür­zer ist und auf einem hö­he­ren to­po­gra­fi­schen Ni­veau liegt. Da­mit der hö­her ge­le­ge­ne Tun­nel er­reicht wer­den kann, müs­sen teil­wei­se neue Zu­fahrts­stras­sen er­stellt wer­den.

Mei­ne Va­ri­an­te be­in­hal­tet zwei Schlüs­sel­stel­len: die Um­fah­rung der Schöl­le­nen­schlucht zwi­schen Gö­sche­nen und An­der­matt so­wie den Schei­tel­tun­nel 400 Hö­hen­me­ter un­ter der Pass­hö­he.

Zum Ver­gleich: Die zwei­te Röh­re wä­re 17 km lang auf einer Hö­he von 1100 m.ü.M. Der Schei­tel­tun­nel wä­re le­dig­lich 6.7 km lang auf einer Hö­he von 1650 m.ü.M. Er ist da­mit ver­gleich­bar mit dem San-Ber­nar­di­no-Tun­nel (6.6 km Län­ge auf 1600 m.ü.M.).

Plan B
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Die Variante

Auf der Nord­sei­te wird eine teil­wei­se neue Stras­sen­füh­rung vor­ge­schla­gen — auf der Süd­sei­te be­ste­hen die nö­ti­gen Zu­fahrts­stras­sen be­reits. Es soll eine Na­tio­nal­stras­se zwei­ter Klas­se ge­baut wer­den, al­so eine zwei­spu­ri­ge Stras­se mit Ge­gen­ver­kehr und oh­ne Kreu­zun­gen, die dem Mo­tor­fahr­zeug-Ver­kehr vor­be­hal­ten bleibt. Die Orts­ver­kehrs­stras­sen blei­ben se­pa­rat be­ste­hen.

Die Li­ni­en­füh­rung be­ginnt (in der Plan­skiz­ze rechts blau ein­ge­zeich­net) von Nor­den nach Sü­den bei der Auto­bahn­aus­fahrt Gö­sche­nen der A2, um­fährt mit einem nied­ri­gen Hang­via­dukt Gö­sche­nen im Sü­den (mit Blick auf Bahn­hof, Dorf und Kir­che). Die be­reits be­ste­hen­de Stras­se in der Schöl­le­nen dient neu mit Ge­schwin­dig­keits­be­schrän­kung auf 30 km/h nur noch dem lang­sa­men, ge­misch­ten Ver­kehr.

Die neue Stras­se führt et­wa 3.6 km nach Wes­ten ins Gö­sche­ner­alp­tal und schwenkt dann mit einer Links­kur­ve in den 3,5 km lan­gen Spitz­tun­nel, der di­rekt auf die Teu­fels­brüc­ke mün­det. Hier führt dann ein neu­er Stras­sen­ab­schnitt am oro­gra­fisch lin­ken Tal­fuss ent­lang nach Ho­spen­tal. Das Dorf wird west­lich um­fah­ren, und die Stras­se ge­langt über dem Dorf auf den nach Sü­den, zum Pass ge­rich­te­ten fla­chen Gams­bo­den und dort in den 6.7 km lan­gen Gott­hard-Schei­tel­tun­nel un­ter dem ober­sten Ab­schnitt des Pas­ses. Die­ser Tun­nel ist mit 6.7 km nur we­nig län­ger als der Ber­nar­di­no-Tun­nel und liegt mit ca. 1650 m.ü.M. nur et­wa 50 Me­ter hö­her.

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Das süd­li­che Tun­nel­por­tal be­fin­det sich bei Mot­to Bar­to­la. Nach we­ni­gen Hun­dert Me­tern er­reicht die neue, durch den Schei­tel­tun­nel füh­ren­de Stras­se die be­reits als Na­tio­nal­stras­se zwei­ter Klas­se be­ste­hen­de Tes­si­ner Pass­stras­se. Die­se führt mit vier ele­gan­ten Haar­na­del­brüc­ken von Mot­to Bar­to­la nach Airo­lo hin­un­ter und schliesst dort an die Auto­bahn A2 nach Bel­lin­zo­na, Lu­ga­no und Chias­so an. Wie beim San-Ber­nar­di­no-Tun­nel wer­den die Zu­fahrts­ram­pen zum Schei­tel­tun­nel im Win­ter im­mer schwarz ge­räumt.

Der Schei­tel­tun­nel dient dem Durch­gangs­ver­kehr le­dig­lich wäh­rend der eigent­li­chen Sa­nie­rung des be­ste­hen­den Tun­nels. Nach der Sa­nie­rung ist er im Som­mer ge­schlos­sen (gem. Al­pen­schutz­ar­ti­kel), und im Win­ter dient er aus­schliess­lich dem Ziel­ver­kehr ins Win­ter­sport­ge­biet nach An­der­matt-Sed­run.

Ausbaustandard der neuen Abschnitte auf der Nordseite

Die Pass­stras­se führt von einem Gott­hard­tal zum an­de­ren. Sie soll eine in mo­der­ner Ar­chi­tek­tur ein­heit­lich ge­stal­te­te Pa­no­ra­ma­stras­se bzw. Pass­stras­se höch­ster Qua­li­tät sein. Mit Ent­wurf und Re­ali­sie­rung soll­te ein in­ter­na­tio­nal hoch an­ge­se­he­ner Tes­si­ner Ar­chi­tekt wie Ma­rio Bot­ta be­auf­tragt wer­den. Ziel soll­te es sein, im Zen­trum der Schweiz eine Pass­stras­se mit der Une­sco-Aus­zeich­nung «Welt­kul­tur­er­be» zu er­schaf­fen.

 ZRKVariante
Eigentliche Sanierung ca. 650 Mio.Fr. 650 Mio.Fr.
Erschliessung ca. 2'100 Mio.Fr. 1'400 Mio.Fr.
Total 2'750 Mio.Fr. 2'050 Mio.Fr.

Baukostenschätzung

Die Bau­kos­ten be­ste­hen beim ZRK und bei der Va­ri­an­te aus zwei Pos­ten: den Sa­nie­rungs­kos­ten des be­ste­hen­den Tun­nels und den Kos­ten für eine Aus­weich­strec­ke. Bei Tun­nels von 12 m Brei­te, mit nor­ma­lem Vor­trieb, je nach­dem, ob mit Lüf­tungs­schäch­ten oder oh­ne und je nach Über­dec­kung rech­net man mit Kos­ten von 105’000 bis 125’000 Fr. pro Lauf­me­ter, und bei Ge­birgs­stras­sen mit klei­nen Brüc­ken, Stütz­mau­ern etc. er­ge­ben sich Kos­ten von 10’000 bis 15’000 Fr. pro Lauf­me­ter.

Plan
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Schlussbemerkung

Wahr­schein­lich wird in der be­vor­ste­hen­den Volks­ab­stim­mung die ZRK–Vor­la­ge an­ge­nom­men und eine ein­ma­li­ge Chan­ce für Land­schaft und Be­völ­ke­rung der Gott­hard­re­gi­on, die Schweiz und Euro­pa end­gül­tig ver­passt. Schuld da­ran sind kurz­fris­ti­ges Den­ken, eng­stir­ni­ge Pla­nung und frag­wür­di­ge Wer­bung.

Man kann nicht be­haup­ten, ein 17 km lan­ger Stras­sen­tun­nel sei si­cher, wenn man an das Car­un­glück in Sier­re vom März 2012 in einem rich­tungs­ge­trenn­ten Auto­bahn­tun­nel mit 2x2 Fahr­spu­ren denkt. Und man kann auch nicht be­haup­ten, man ha­be al­le Va­ri­an­ten sorg­fäl­tig ge­prüft, wenn kein Wett­be­werb durch­ge­führt wur­de und mein Lö­sungs­kon­zept, das ich auch der Po­li­tik un­ter­brei­tet ha­be, nir­gend­wo auf­ge­nom­men wird.

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