Sonntags Zeitung

Blocher beschimpft FDP als Sekte

Der SVP-Patron spricht erstmals von Rückzug aus der Parteileitung

VON DENIS VON BURG UND REZA RAFI

BERN — Nach den ver­lo­re­nen Par­la­ments- und Bun­des­rats­wah­len greift SVP-Stra­te­ge Chris­toph Blo­cher die Schwes­ter­par­tei FDP fron­tal an und ver­gleicht sie mit einer Sek­te. «Sek­tie­re­risch» ha­be der Frei­sinn sei­ner Par­tei die Un­ter­stüt­zung ver­sagt. Wer nicht mehr auf die po­li­ti­schen In­halte ach­te und bei der SVP nur noch Ab­wehr­ref­le­xe ha­be, «er­weckt den Ein­druck einer Sek­te», sagt Blo­cher im In­ter­view mit der Sonn­tags­Zei­tung. Sein Vor­wurf: Die FDP sei mit­ver­ant­wort­lich für die Wie­der­wahl von Eve­li­ne Wid­mer-Schlumpf und ha­be in den Par­la­ments­wah­len die Zu­sam­men­ar­beit tor­pe­diert.

Blocher dec­kelt die par­tei­in­ter­nen Auf­wieg­ler und be­schwich­tigt Kri­tik an sei­ner Stra­te­gie, in­dem er den an­ge­kün­dig­ten Op­po­si­tions­kurs re­la­ti­viert. Statt von «Op­po­si­tion» re­det Blo­cher nun von «kon­struk­ti­ver Re­gie­rungs­kon­trol­le» und spricht sich da­für aus, dass Ueli Mau­rer im Bun­des­rat blei­ben soll.

Erst­mals bringt Blo­cher sei­nen Rück­zug aus der Par­tei­füh­rung ins Spiel. «Ich blei­be nicht si­cher im Prä­si­dium», sagt er. Die SVP und er selbst wür­den das prü­fen; «denn wir müs­sen un­se­re Par­tei dem neu­en Auf­trag an­pas­sen».

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«Dann sollen sie doch aufstehen und eine Führungsrolle beanspruchen!»

SVP-Stratege Christoph Blocher über parteiinterne Kritiker, Fehler bei der Bundesratswahl, einen möglichen Rücktritt als Vizepräsident und sein Engagement bei der «Basler Zeitung»

VON REZA RAFI, DENIS VON BURG TEXT UND RENÉ RUIS FOTOS
Ch. Blocher
Christoph Blocher und die «Basler Zeitung»: «Es ist ja eine eigentliche Hexenjagd, die mich an böse Zeiten erinnert»

Die Medien or­ten den «Jahr­hun­dert­po­li­ti­ker» Chris­toph Blo­cher im Spät­herbst sei­ner Kar­rie­re. Sei­ne SVP hat bei den Bun­des­rats­wah­len so­eben Schiff­bruch er­lit­ten, par­tei­in­tern regt sich der Un­mut ge­gen­über dem Pat­ron, erst­mals auch öf­fent­lich. Und ein Jahr lang hat er ge­gen­über der Öf­fent­lich­keit sei­ne Ver­ban­de­lung mit der «Bas­ler Zei­tung» ver­heim­licht. Die Sonn­tags­Zei­tung traf am Don­ners­tag im Bun­des­haus auf einen viel­leicht ver­bit­ter­ten, aber geis­tig prä­sen­ten Macht­men­schen, der erst­mals den eige­nen Rück­zug an­deu­tet.

Herr Blo­cher, auf man­chen Fo­tos ma­chen Sie nach der Wahl einen de­pri­mier­ten Ein­druck.

Wenn man tau­send Fo­tos macht, gibt es si­cher eines, auf dem ich nicht la­che. Aber bit­te re­den wir über Sub­stan­ziel­les.

Sie hat­ten kei­ne glück­li­che Woche — die Schlap­pe bei der Bun­des­rats­wahl und die Kri­tik an Ih­rer Kom­mu­ni­ka­tion um die Be­sitz­ver­hält­nis­se bei der «Bas­ler Zei­tung».

Kri­tik bin ich mich ge­wohnt, und trotz­dem neh­me ich sie ernst.

Der neue BaZ-Be­sit­zer Ti­to Tet­ta­man­ti sagt, die Ver­schwie­gen­heit sei ein Feh­ler ge­we­sen. Se­hen Sie das auch so?

Ja. Er hat vor al­lem vom Be­ra­tungs­man­dat der Rob­in­vest ge­spro­chen.

Er hat auch die Be­sitz­ver­hält­nis­se ge­meint.

So­weit nö­tig, wur­den sie of­fen­ge­legt.

Das ist ab­surd. So­gar die «Welt­wo­che» schreibt, Sie hät­ten «die Wahr­heit zu­recht­ge­bo­gen».

Das Ziel war, den Ver­lag nicht auch noch in einem der Gross­ver­la­ge ver­sin­ken zu las­sen. Die «Bas­ler Zei­tung» ist eine der we­ni­gen Zei­tun­gen, die noch un­ab­hän­gig sind. Ich tat al­les, was ich konn­te, oh­ne sie selbst zu kau­fen.

Das wä­re ehr­li­cher ge­we­sen.

Dann wä­re es erst rich­tig los­ge­gan­gen. Es ist ja eine eigent­li­che He­xen­jagd, die mich an bö­se Zei­ten er­in­nert: «Kauft nicht bei Blo­cher.» Man hät­te von einer SVP-Zei­tung ge­spro­chen, was ich nicht will. Die Pres­se­land­schaft ist be­sorg­nis­er­re­gend: Staats­fern­se­hen, Staats­ra­dio, und al­le gros­sen Ver­la­ge hän­gen am Tropf des Bun­des. Wo ist die Mei­nungs­frei­heit?

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Über Stroh­leu­te eine Zei­tung zu kau­fen, ist aber nicht sehr ver­trau­ens­bil­dend.

Ich per­sön­lich war fi­nan­zi­ell we­der di­rekt noch in­di­rekt be­tei­ligt. Das war — wie eine Zei­tung schrieb — «for­mell rich­tig, aber ge­wagt». Eine an­de­re nann­te dies «schlitz­oh­rig» — viel­leicht. Ich be­dau­re, dass dies nö­tig war. In die­sem Fall hei­ligt der Zweck aber die Mit­tel. Mit Mo­ritz Su­ter hat­te mei­ne Toch­ter, die selbst­stän­dig han­del­te, eine Op­ti­on zum Rück­kauf, was jetzt ge­sche­hen ist.

Ihre Ru­meie­rei scha­det Ih­nen. Die Öf­fent­lich­keit fühlt sich von Ih­nen hin­ters Licht ge­führt.

Wenn es rich­tig ist, muss man auch Din­ge tun, die einem scha­den. In Ba­sel wird heu­te an­er­kannt, dass die «Bas­ler Zei­tung» viel bes­ser ge­wor­den ist. Kaum je­mand stört heu­te mehr, dass ich — nicht mei­ne Toch­ter! — ge­wis­se Ga­ran­ti­en we­gen des in­du­stri­el­len Teils ge­ge­ben ha­be.

Waren Sie beim Ver­kauf an die Hol­ding von Herrn Tet­ta­man­ti in­vol­viert?

Na­tür­lich. Ich ha­be Herrn Tet­ta­man­ti da­rum ge­be­ten, denn er meint es ernst mit der Me­di­en­viel­falt. Er hat­te aber be­greif­li­cher­wei­se et­was Angst um den not­lei­den­den in­du­stri­el­len Be­reich und die ho­he Ver­schul­dung. Ich ga­ran­tier­te, dass man dies hin­bringt.

Nicht we­ni­ger durch­sich­tig er­schien uns Ih­re Stra­te­gie bei den Bun­des­rats­wah­len.

Die SVP woll­te die 50 Jah­re be­währ­te Kon­kor­danz wie­der her­stel­len. Mit 26 Pro­zent hat sie zwei Sit­ze zu­gut. Da­rum trat sie beim Sitz der 5-Pro­zent-Par­tei an. Weil sich Mit­te-links durch­setz­te, war nach dem zwei­ten Wahl­gang die Kon­kor­danz ge­bro­chen und die SVP frei. Das sind die Mehr­heits­ver­hält­nis­se.

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Vor der Wahl war vor al­lem von pro­mi­nen­ten Ab­sa­gen wie von Spuh­ler und Baa­der die Re­de: Sie ha­ben es in den vier Jah­ren ver­passt, über­zeu­gen­de Kan­di­da­ten auf­zu­bau­en.

In einer aus­sichts­lo­sen Si­tua­ti­on ste­hen die Kan­di­da­ten nicht Schlan­ge. Die SVP prä­sen­tier­te Kan­di­da­ten, die die an­dern Par­tei­en frü­her stets wäh­len woll­ten. Herr Wal­ter wur­de ja bei frü­he­ren Ge­le­gen­hei­ten so­gar von den an­de­ren Par­tei­en vor­ge­schla­gen.

Auch er war dann chancen­los.

Damit ist klar ge­wor­den: Auch einen zwei­ten, sehr kon­kor­dan­ten SVP-Kan­di­da­ten will Mit­te-links nicht. Trotz al­ler an­de­rer Be­kennt­nis­se: Man will der SVP kei­nen zwei­ten Sitz zu­ge­ste­hen.

Trotz­dem ha­ben Sie die FDP an­ge­grif­fen — auch zum Är­ger vie­ler SVP-ler.

Als die Kon­kor­danz mit der Wahl von Frau Wid­mer-Schlumpf ge­bro­chen war, stell­te sich die Si­tua­ti­on an­ders dar.

Erst nach der Wahl von Herrn Burk­hal­ter. Wer soll das ver­ste­hen?

Zu­ge­ge­ben, im Ab­lauf ist ein Feh­ler pas­siert. Aber ent­schei­dend war dies nicht.

Mit Ih­rem An­griff auf Jo­hann Schnei­der-Am­mann ha­ben Sie Ih­ren tra­di­tio­nel­len Bünd­nis­par­tner FDP brüs­kiert.

Lei­der ist in vie­len Kan­to­nen die­se tra­di­tio­nel­le Bünd­nis­part­ner­schaft in die Brü­che ge­gan­gen. Da­durch ha­ben SVP und FDP un­nö­ti­ger­wei­se Na­tio­nal­rats­sit­ze ein­ge­büsst. Und lei­der ha­ben FDP-Ver­tre­ter bei der Stimm­ab­ga­be für die Bun­des­rats­wahl und vor den Wah­len ge­gen die SVP agiert.

Sie ha­ben sich aber um Part­ner­schaf­ten be­müht.

Klar! Die FDP steht uns doch nä­her als die SP! Doch in ge­wis­sen Kan­to­nen hat sie ge­ra­de­zu sek­tie­re­risch Lis­ten­ver­bin­dun­gen und ge­gen­sei­ti­ge Un­ter­stüt­zung aus­ge­schla­gen.

Die FDP als Sek­te? Ent­schul­di­gen Sie.

Wenn man sich so ab­schliesst, wirkt dies sek­ten­haft. Die Fra­ge soll­te lau­ten, wie er­rei­chen wir mehr bür­ger­li­che Sit­ze, um Steu­ern zu sen­ken, die Un­ab­hän­gig­keit der Schweiz zu ver­tei­di­gen, um die Prob­le­me in der Aus­län­der­po­li­tik zu lö­sen. Wer das ver­gisst und sagt «Nein, nie mit der SVP!», der er­weckt den Ein­druck einer Sek­te.

Es gibt tie­fe Ver­let­zun­gen in der FDP, ge­ra­de in Zü­rich, an de­nen Sie mit schuld sind.

Na­tür­lich! Die­se gibt es auch bei der SVP. Aber be­trach­ten Sie die Wäh­ler­ent­wick­lung seit 1987. Die SVP hat sich von einer 11-Pro­zent-Par­tei auf 26 Pro­zent ent­wic­kelt. Die Frei­sin­ni­gen und die CVP sind auf dem his­to­ri­schen Tief an­ge­langt. Das schmerzt be­greif­li­cher­wei­se. Trotz­dem soll­ten wir uns die Hand rei­chen.

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Den­noch, Ih­nen schien es mit dem An­griff auf die FDP nicht sehr ernst ge­we­sen zu sein.

Sie ha­ben recht, weil hier ein Feh­ler pas­siert ist. Wich­tig ist, dass un­ser zwei­ter Kan­di­dat nicht im Dun­keln an­stel­le von Schnei­der-Am­mann ge­wählt wur­de, wie das Mit­te-links plan­te. Die­ser SVP-Kan­di­dat wä­re dann vier Jah­re in Gei­sel­haft der Lin­ken ge­stan­den. Die SVP ist nun als gröss­te Par­tei von der Re­gie­rungs­ver­ant­wor­tung weit­ge­hend aus­ge­schlos­sen. Die­se Klar­heit hat auch viel Po­si­ti­ves.

Ein guter Entscheid?

Wenigs­tens hat jetzt klar Mit­te-links die Ver­ant­wor­tung für Ent­schei­de der Re­gie­rung. Auf­ga­be der SVP ist es, die­se Re­gie­rung zu kon­trol­lie­ren, zu kri­ti­sie­ren und auf Miss­stän­de hin­zu­wei­sen — aus­ser­halb der Re­gie­rungs­ver­ant­wor­tung bes­se­re Lö­sun­gen zu ver­lan­gen, not­falls das Volk ent­schei­den zu las­sen. Wenn es die SVP gut macht, er­reicht sie wahr­schein­lich mehr, als wenn sie mit einem kon­kor­dan­ten Kan­di­da­ten in der Re­gie­rung ein­ge­bun­den ist.

Das tönt ver­bit­tert. Sie wis­sen, dass Sie jetzt je­nen Stim­men Auf­trieb ge­ben, die be­haup­ten, Sie hät­ten gar nie ernst­haft einen zwei­ten Sitz ge­wollt, um jetzt of­fi­zi­ell Op­po­si­ti­on ma­chen zu kön­nen.

Damit muss man leben.

Ist der voll­stän­di­ge Rück­zug aus dem Bun­des­rat im­mer noch ein The­ma?

Zu prü­fen ist im Hin­blick auf den Par­tei­tag vom 28. Ja­nu­ar al­les.

Wol­len Sie Ueli Mau­rer zu­rück­zie­hen?

Ich per­sön­lich bin der Mei­nung, dass Ueli Mau­rer im Bun­des­rat blei­ben soll. Er ist ein gu­ter Bun­des­rat. Er hat in drei Jah­ren im VBS Ent­schei­den­des ver­bes­sert. Das darf man jetzt nicht ein­fach auf­ge­ben und je­man­dem über­las­sen, der al­les wie­der zer­stört.

Wie wollen Sie denn Op­po­si­ti­on ma­chen? Sie ha­ben mit Ih­ren Ini­tia­ti­ven doch das Pul­ver ver­schos­sen.

Wie ge­sagt, die SVP wird eine kon­struk­ti­ve Re­gie­rungs­kon­trol­le in­stal­lie­ren müs­sen. Die Prob­le­me und das Ver­sa­gen der Re­gie­rung lie­gen ja vor un­se­rer Tür. Wir ha­ben doch un­glaub­li­che Miss­stän­de im Asyl­we­sen. Den­ken Sie an die Per­so­nen­frei­zü­gig­keit, an die Preis­ga­be der Sou­ve­rä­ni­tät, an die dau­ern­de Frei­heits­ein­schrän­kung und, und, und. Auch Ini­tia­ti­ven sind wich­tig.



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Tages Anzeiger:
13.12.2011: Leitartikel Seite 1
13.12.2011: Kommentar Seite 2
13.12.2011: Eigentümerin Seite 5
15.12.2011: BaZ zu Tettamanti
29.10.2012: BaZ: Christoph Blocher: «Ziel ist eine ‹Basler Zeitung nackt›»
22.04.2013: Landbote zu Tettamanti
16.12.2011: Kritik an Führung
24.12.2011: Christoph Blocher — der Profi — über die Leistung von Blocher und Ebner
Original Seiten als PDF: 24.12.2011: Christoph Blocher — der Profi     28.12.201: Leserbriefe vom 28.12.2011
01.01.2012: SonntagsZeitung: Blocher greift Nationalbank an mit gestohlenen Bankdaten