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Blocher schwärzte Nationalbank-Chef an

Der SVP-Stratege übergab am 15. Dezember gestohlene Bank-Sarasin-Belege über Transaktionen der Familie Hildebrand an die Bundespräsidentin Calmy-Rey

VON ALICE CHALUPNY UND VICTOR WEBER

BERN — Nun ist klar, wer der Draht­zie­her der At­tac­ke auf die Schwei­ze­ri­sche Na­tio­nal­bank (SNB) und de­ren Prä­si­den­ten Phi­lipp Hil­de­brand ist: Chris­toph Blo­cher. Re­cher­chen der Sonn­tags­Zei­tung er­ga­ben, dass der Ex-Jus­tiz­mi­nis­ter in den Be­sitz von Do­ku­men­ten ge­langt ist, die bei der Bank Sa­ra­sin ge­stoh­len wor­den sind und Ver­mö­gens­ver­hält­nis­se der Fa­mi­lie Hil­de­brand auf­zei­gen.

Aus die­sen geht auch ein Dol­lar­kauf von Hil­de­brands Ehe­frau für rund 500'000 Fran­ken her­vor. Die Trans­ak­tion er­wies sich als sehr vor­teil­haft. Mit dem Ver­dacht, dass Ka­shya Hil­de­brand In­si­der­wis­sen ih­res Gat­ten miss­braucht ha­ben könn­te, ging Blo­cher am 15. De­zem­ber zur da­ma­li­gen Bun­des­prä­si­den­tin Cal­my-Rey. In sei­ner Ta­sche hat­te er die Bank­be­le­ge. Cal­my-Rey rief eine De­le­ga­tion des Bun­des­rats zu­sam­men und lei­te­te, auf Hil­de­brands Vor­schlag, eine Über­prü­fung der Ver­dachts­mo­men­te ein. Hil­de­brand wur­de spä­ter ent­las­tet.

Hilde­brands An­wäl­te be­rei­ten eine Straf­an­zei­ge vor. Ins Vi­sier neh­men sie die Per­so­nen, die das Bank­ge­heim­nis ver­letzt ha­ben, aber auch das Geld­in­sti­tut sel­ber, da es sei­ne Sorg­falts­pflicht ver­nach­läs­sigt ha­ben könn­te, so­wie Chris­toph Blo­cher.

Siehe Seite 43

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Blocher startet Kampagne gegen Nationalbank

Der SVP-Chefstratege geht mit persönlichen Kontoauszügen von Notenbanker Philipp Hildebrand hausieren, die von der Bank Sarasin stammen

VON ALICE CHALUPNY UND VICTOR WEBER

ZÜRICH/BERN — Bundes­haus, ge­gen En­de der Win­ter­ses­sion: Na­tio­nal­rat Chris­toph Blo­cher bit­tet beim Bü­ro der Bun­des­prä­si­den­tin Mi­che­li­ne Cal­my-Rey um einen per­sön­li­chen Ter­min. Drin­gend. Einen Tag nach den Bun­des­rats­wah­len, am 15. De­zem­ber, wird Blo­cher die Au­di­enz ge­währt. Der ehe­ma­li­ge Jus­tiz­mi­nis­ter und die ab­tre­ten­de Bun­des­prä­si­den­tin tref­fen sich in ih­rem Bü­ro. Dort legt Blo­cher einen Sta­pel Un­ter­la­gen auf den Tisch: Es sind Do­ku­men­te der Bank Sa­ra­sin, die Aus­kunft ge­ben über Kon­ti und Trans­ak­tio­nen von Na­tio­nal­bank­prä­si­dent Phi­lipp Hil­de­brand und sei­ner Fa­mi­lie. Blo­cher weist Cal­my-Rey spe­ziell auf einen De­vi­sen­kauf von Ka­shya Hil­de­brand, der Ehe­frau, hin: Am 15. Au­gust er­warb die an­ge­se­he­ne Ga­le­ris­tin für eine hal­be Mil­lion Fran­ken Dol­lar. Die US-Wäh­rung no­tier­te da­mals knapp über dem All­zeit­tief von 0.71 Fran­ken. Nach der SNB-In­ter­ven­tion vom 6. Sep­tem­ber, mit wel­cher der Fran­ken an den Euro ge­kop­pelt wur­de, stieg auch der Dol­lar mar­kant an. Ka­shya Hil­de­brand fuhr bin­nen kur­zer Zeit einen Buch­ge­winn von rund 10 Pro­zent ein. Es stel­le sich die Fra­ge, soll Blo­cher ge­sagt ha­ben, ob Frau Hil­de­brand mög­li­cher­wei­se das In­si­der­wis­sen ih­res Gat­ten für ih­re Wäh­rungs­ge­schäf­te ge­nutzt ha­be. Dann pack­te Blo­cher die Un­ter­la­gen wie­der ein.

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Ad-hoc-Delegation des Bundesrats wurde einberufen

Eben­falls am 15. De­zem­ber 2011 hielt die SNB ihr tra­di­tio­nel­les Jah­res­end­ge­spräch mit den Me­dien in Bern ab. Kurz da­nach wur­de Hil­de­brand über die Vor­wür­fe un­ter­rich­tet. Von wem, war bis­her un­klar. Jetzt sagt Vi­ze­kanz­ler und Bun­des­rats­spre­cher And­r´ Si­mo­naz­zi: «Die Bun­des­prä­si­den­tin hat auf­grund der er­hal­te­nen In­for­ma­tio­nen eine Ad-hoc-De­le­ga­tion des Bun­des­rats zu einer Sit­zung in die­ser An­ge­le­gen­heit ein­be­ru­fen. Nach­dem Hil­de­brand über die Be­haup­tun­gen per­sön­lich ins Bild ge­setzt wor­den war, hat er von sich aus an­ge­bo­ten, al­le sei­ne Bank­ver­bin­dun­gen of­fen­zu­le­gen.»[¹] Der Bun­des­rat ist die Wahl­be­hör­de des Di­rek­to­ri­ums der SNB. «Des­halb hat die De­le­ga­tion des Bun­des­rats — mit Rück­sicht auf die Un­ab­hän­gig­keit der SNB und mit dem Ein­ver­ständ­nis von Herrn Hil­de­brand — ent­schie­den, Kurt Grü­ter und Mi­chel Huis­soud, Di­rek­tor und Vi­ze­di­rek­tor der Eid­ge­nös­si­schen Fi­nanz­kon­trol­le, ad per­so­nam zu be­auf­tra­gen, sämt­li­che Bank­kon­ten von Phi­lipp Hil­de­brand und den Mit­glie­dern sei­ner Fa­mi­lie zu prü­fen.»

Kasten "Meinung"

Die Fi­nanz­kon­trol­leu­re über­prüf­ten, ob es Ge­schäf­te gab, die mit Blick auf die Funk­tion des No­ten­bank­chefs prob­le­ma­tisch sein könn­ten. «Die Re­vi­sion hat kei­ner­lei Hin­wei­se auf Trans­ak­tio­nen ge­fun­den, wel­che die Kennt­nis ver­trau­li­cher Tat­sa­chen aus­ge­nutzt oder die Re­geln der SNB ver­letzt hät­ten», hält Si­mo­naz­zi fest.

Zeit­gleich hat­te das Auf­sichts­or­gan der SNB, der Bank­rat, bei der Wirt­schafts­prü­fungs­ge­sell­schaft Pri­ce­wa­ter­hou­se­Coo­pers (PwC) eine Un­ter­su­chung in Auf­trag ge­ge­ben. Be­kannt­lich kam die­se Prü­fung zum glei­chen Er­geb­nis wie die­je­ni­ge der Eid­ge­nös­si­schen Fi­nanz­kon­trol­le.

Am 22. De­zem­ber tag­te der SNB-Bank­rat, prä­si­diert vom An­walt Hans­ueli Rag­gen­bass: Das Gre­mi­um nahm das Er­geb­nis zur Kennt­nis und leg­te den Fall ad ac­ta. Am 23. De­zem­ber gab die SNB abends eine Me­dien­mit­tei­lung her­aus: «Ge­rüch­te ge­gen den Prä­si­den­ten des Di­rek­to­ri­ums er­wei­sen sich als halt­los.»

Chris­toph Blo­cher war für eine Stel­lung­nah­me ges­tern nicht er­reich­bar. An sei­ner statt lässt er In­ti­mus Chris­toph Mör­ge­li[²] spre­chen. Es be­stün­den auch nach dem Com­mu­ni­qué der SNB zu vie­le un­stim­mi­ge Fra­gen, sagt der SVP-Na­tio­nal­rat.[³] «Wes­halb hat PwC den Fall un­ter­sucht? Die Fir­ma kann nicht als un­ab­hän­gig gel­ten, sie ver­dient mit Auf­trä­gen der SNB Mil­lio­nen. Zu­dem wur­den Hil­de­brands Ge­schäf­te nur wäh­rend eines Jah­res un­ter­sucht. Das reicht nicht.» Ver­däch­tig sei auch, dass die SNB die Sum­me der Trans­ak­tio­nen nicht nann­te. Zu­dem sei der ober­ste No­ten­ban­ker über die De­vi­sen­ge­schäf­te sei­ner Frau im Bil­de ge­we­sen: «Steu­er­er­klä­run­gen un­ter­schreibt man als Ehe­paar ge­mein­sam.» Sei­ne Par­tei for­de­re das Fi­nanz­de­par­te­ment und den Bank­rat «zum Han­deln» auf: «Es braucht eine um­fas­sen­de Un­ter­su­chung des Fal­les», so Mör­ge­li.

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Eine Strafanzeige gegen Dritte wird derzeit vorbereitet

Pein­lich ist der Fall für die Bank Sa­ra­sin. Das In­sti­tut, das erst vor we­ni­gen Wo­chen mit der Bank Saf­ra eine neue Eigen­tü­me­rin er­hal­ten hat, will zu den Vor­wür­fen mit Ver­weis auf das Bank­kun­den­ge­heim­nis kei­ne Stel­lung neh­men. Hil­de­brand und die SNB las­sen der­zeit von einer Rechts­an­walts­kanz­lei prü­fen, ob Straf­an­zei­ge ge­gen einen oder meh­re­re Drit­te we­gen Ver­let­zung des Bank­kun­den­ge­heim­nis­ses er­stat­tet wer­den soll. Das be­stä­tigt eine Ver­trau­ens­per­son, die in die­ser Sa­che in en­gem Kon­takt mit Hil­de­brand steht. Die An­wäl­te klä­ren auch ab, ob die Bank ih­re Sorg­falts­pflich­ten ver­letzt ha­ben könn­te. Wann Hil­de­brand be­zie­hungs­wei­se die SNB eine An­zei­ge ein­rei­chen, ist laut sei­ner Ver­trau­ens­per­son noch of­fen. «Die Zeit spielt für Hil­de­brand. Die Staats­an­walt­schaft soll mit sehr sub­stan­ziel­len In­for­ma­tio­nen ver­sorgt wer­den.»

Die Ver­let­zung des Bank­kun­den­ge­heim­nis­ses ist laut Bas­ler Staats­an­walt­schaft mdash; hier hat die Bank Sa­ra­sin ih­ren Haupt­sitz — ein Of­fi­zial­de­likt. Die Be­hör­de muss also von Am­tes we­gen ak­tiv wer­den. Noch hat sie vom Fall aber kei­ne Kennt­nis. Je­den­falls set­ze man vor­aus, dass An­zei­ge er­stat­tet wer­de, zu­mal sich die Be­trof­fe­nen zu weh­ren wüss­ten, heisst es in Basel.

Ob sich auch Chris­toph Blo­cher mit der Wei­ter­ga­be der Bank­da­ten, die ein Bank­an­ge­stell­ter ent­wen­det hat, straf­bar ge­macht hat, ist ge­mäss Aus­sa­gen ver­schie­de­ner Ju­ris­ten nicht auf den ers­ten Blick klar. «Mög­lich ist es, des­halb wird es über­prüft», sagt Hil­de­brands Ver­trau­ens­per­son. So­wohl für die Bank Sa­ra­sin wie auch für Chris­toph Blo­cher gilt die Un­schulds­ver­mu­tung.

Die Fi­nanz­markt­auf­sicht führt in die­sem Zu­sam­men­hang kei­ne Un­ter­su­chung durch. Laut Fin­ma-Spre­cher To­bias Lux wür­de die Be­hör­de nur dann tä­tig, wenn der Ver­dacht be­stün­de, dass in einer Bank die in­ter­nen Ab­läu­fe der­art feh­ler­haft sei­en, dass das Bank­kun­den­ge­heim­nis gar nicht ge­währ­leis­tet wer­den kön­ne. Wenn aber mut­mass­lich ein Bank­an­ge­stell­ter das Bank­kun­den­ge­heim­nis ver­let­ze, sei die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de zu­stän­dig.

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Bizarre Gerüchte werden gezielt gestreut

Blo­cher und sei­ne Mit­strei­ter wol­len die Nie­der­la­ge bei ih­rem neu­er­li­chen An­griff auf die SNB of­fen­bar nicht ak­zep­tie­ren. Im Ver­lauf der ver­gan­ge­nen Wo­che wur­de (auch) die Sonn­tags­Zei­tung un­auf­ge­for­dert von Ad­la­ten des SVP-Chef­stra­te­gen mit neu­en, bi­zarr an­mu­ten­den Ge­rüch­ten zu an­geb­li­chen Ver­feh­lun­gen Hil­de­brands ein­ge­deckt. Wa­rum SVP-Krei­se zum x-ten Mal den Ver­such einer Hetz­kam­pag­ne ge­gen den Chef­no­ten­ban­ker un­ter­neh­men, er­klä­ren bes­tens in­for­mier­te Ge­währs­leu­te mit dem «Mas­ter­plan» der SVP: «Es herrscht ein Kampf der SVP ge­gen die In­sti­tu­tio­nen. Blo­cher will mit einem mög­lichst gros­sen Macht­an­teil das Land nach sei­nen Vor­stel­lun­gen for­men. Eck­pfei­ler sind un­ter an­de­rem eine ge­schwäch­te Jus­tiz, steu­er­ba­re Me­dien und eine Na­tio­nal­bank an der kur­zen Lei­ne.»[⁴] Hil­de­brand ha­be sich seit Aus­bruch der Fi­nanz­kri­se und der Ret­tung der UBS viel zu stark in die Markt­wirt­schaft — Stich­wort: Re­gu­lie­rung der Gross­ban­ken mdash; ein­ge­mischt. Da­rum müs­se er weg. Die neue At­tac­ke über­ra­sche nach dem De­ba­kel bei den Par­la­ments- und Bun­des­rats­wah­len nicht. «Je grös­ser die Nie­der­la­ge für Blo­cher ist, des­to ag­gres­si­ver kämpft er.» Nach einem vor­über­ge­hen­den Burg­frie­den im Spät­som­mer, dank dem sich die SNB auf die Fran­ken­an­bin­dung an den Euro fo­kus­sie­ren konn­te, ge­he es nun wie­der zur Sa­che. «Der Krieg ge­gen die No­ten­bank mit Hil­de­brand als Sym­bol­fi­gur wird fort­ge­setzt.»

MITARBEIT: REZA RAFI, PASCAL TISHHAUSER

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Fussnoten des Kuckuck

¹) Zu einer sol­chen Prü­fung hat sich Chris­toph Blo­cher nie her­ge­ge­ben, we­der bei der Über­nah­me der Ems-Che­mie, noch bei der BaZ, noch als Bun­des­rat.
Ob es wohl an der Zeit wä­re, eine Be­loh­nung aus­zu­set­zen für ge­stoh­le­nen Bank­da­ten in aus­län­di­schen Ban­ken, Da­ten über du­bio­se Ver­mö­gen rei­cher Schwei­zer, ins­be­son­de­re der Fa­mi­lie Blo­cher?
²) Auch im Solde von Chris­toph Blo­cher?
³) Z.B. Wie kommt Chris­toph Blo­cher zu ge­stoh­le­nen Bank­da­ten? Be­zahlt er et­wa Die­be für sol­che Ak­tio­nen?
⁴) Also will Chris­toph Blo­cher doch unser Dik­ta­tor wer­den, Ge­set­ze zu sei­nen Guns­ten ma­chen/än­dern, Jus­tiz und Na­tio­nal­bank ih­rer Un­ab­hägig­keit be­rau­ben, um in al­ler Ru­he und un­be­hel­ligt sein Ver­mö­gen mit al­len Mit­teln zu äuf­nen.


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Tages Anzeiger:
13.12.2011: Leitartikel Seite 1
13.12.2011: Kommentar Seite 2
13.12.2011: Eigentümerin Seite 5
15.12.2011: BaZ zu Tettamanti
29.10.2012: BaZ: Christoph Blocher: «Ziel ist eine ‹Basler Zeitung nackt›»
22.04.2013: Landbote zu Tettamanti
16.12.2011: Kritik an Führung
18.12.2011: SonntagsZeitung Blocher beschimpft FDP
24.12.2011: Christoph Blocher — der Profi — über die Leistung von Blocher und Ebner
Original Seiten als PDF: 24.12.2011: Christoph Blocher — der Profi     28.12.2011: Leserbriefe vom 28.12.2011