ZÜRICH/BERN — Bundeshaus, gegen Ende der Wintersession:
Nationalrat Christoph Blocher bittet beim
Büro der Bundespräsidentin
Micheline Calmy-Rey um einen persönlichen
Termin. Dringend. Einen Tag
nach den Bundesratswahlen, am 15. Dezember,
wird Blocher die Audienz
gewährt. Der ehemalige Justizminister
und die abtretende
Bundespräsidentin treffen sich in ihrem
Büro. Dort legt Blocher einen
Stapel Unterlagen auf den Tisch: Es sind Dokumente
der Bank Sarasin, die
Auskunft geben über Konti und Transaktionen von
Nationalbankpräsident
Philipp Hildebrand und seiner Familie. Blocher
weist Calmy-Rey speziell
auf einen Devisenkauf von Kashya Hildebrand,
der Ehefrau, hin: Am 15.
August erwarb die angesehene Galeristin
für eine halbe Million Franken
Dollar. Die US-Währung notierte damals knapp über
dem Allzeittief von
0.71 Franken. Nach der SNB-Intervention vom 6. September,
mit welcher
der Franken an den Euro gekoppelt wurde, stieg auch der Dollar markant
an. Kashya Hildebrand fuhr binnen kurzer Zeit einen Buchgewinn von rund
10 Prozent ein. Es stelle sich die Frage, soll Blocher gesagt haben, ob
Frau Hildebrand möglicherweise das
Insiderwissen ihres Gatten für ihre
Währungsgeschäfte genutzt habe.
Dann packte Blocher die Unterlagen
wieder ein.
Ad-hoc-Delegation des Bundesrats wurde einberufen
Ebenfalls am 15. Dezember 2011 hielt die SNB ihr traditionelles
Jahresendgespräch mit den Medien in Bern ab. Kurz danach wurde
Hildebrand über die Vorwürfe unterrichtet.
Von wem, war bisher unklar.
Jetzt sagt Vizekanzler und Bundesratssprecher Andr´
Simonazzi: «Die
Bundespräsidentin hat aufgrund der erhaltenen
Informationen eine
Ad-hoc-Delegation des Bundesrats zu einer Sitzung in dieser
Angelegenheit einberufen. Nachdem Hildebrand
über die Behauptungen
persönlich ins Bild gesetzt worden war, hat er von sich aus angeboten,
alle seine Bankverbindungen
offenzulegen.»[¹]
Der Bundesrat ist die
Wahlbehörde des Direktoriums der SNB.
«Deshalb hat die Delegation des
Bundesrats — mit Rücksicht auf die
Unabhängigkeit der SNB und mit dem
Einverständnis von Herrn Hildebrand
— entschieden, Kurt Grüter und
Michel Huissoud, Direktor und Vizedirektor
der Eidgenössischen
Finanzkontrolle, ad personam zu beauftragen,
sämtliche Bankkonten von
Philipp Hildebrand und den Mitgliedern seiner Familie
zu prüfen.»
Die Finanzkontrolleure überprüften,
ob es Geschäfte gab, die mit
Blick auf die Funktion des Notenbankchefs problematisch
sein könnten.
«Die Revision hat keinerlei Hinweise auf
Transaktionen gefunden, welche
die Kenntnis vertraulicher Tatsachen
ausgenutzt oder die Regeln der SNB
verletzt hätten», hält Simonazzi fest.
Zeitgleich hatte das Aufsichtsorgan der SNB, der Bankrat, bei der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
PricewaterhouseCoopers (PwC) eine
Untersuchung in Auftrag gegeben.
Bekanntlich kam diese Prüfung zum
gleichen Ergebnis wie diejenige der
Eidgenössischen Finanzkontrolle.
Am 22. Dezember tagte der SNB-Bankrat, präsidiert vom
Anwalt Hansueli Raggenbass: Das Gremium nahm das Ergebnis zur
Kenntnis und legte den Fall ad acta. Am 23. Dezember gab die SNB abends
eine Medienmitteilung heraus:
«Gerüchte gegen den Präsidenten des
Direktoriums erweisen sich als haltlos.»
Christoph Blocher war für eine Stellungnahme gestern nicht
erreichbar. An seiner statt lässt er Intimus
Christoph Mörgeli[²]
sprechen.
Es bestünden auch nach dem Communiqué
der SNB zu viele unstimmige
Fragen, sagt der SVP-Nationalrat.[³]
«Weshalb hat PwC den Fall untersucht?
Die Firma kann nicht als unabhängig gelten,
sie verdient mit Aufträgen
der SNB Millionen. Zudem wurden Hildebrands
Geschäfte nur während eines
Jahres untersucht. Das reicht nicht.»
Verdächtig sei auch, dass die SNB
die Summe der Transaktionen nicht nannte. Zudem sei der oberste
Notenbanker über die Devisengeschäfte
seiner Frau im Bilde gewesen:
«Steuererklärungen unterschreibt
man als Ehepaar gemeinsam.» Seine
Partei fordere das Finanzdepartement
und den Bankrat «zum Handeln» auf:
«Es braucht eine umfassende Untersuchung des
Falles», so Mörgeli.
Eine Strafanzeige gegen Dritte wird derzeit vorbereitet
Peinlich ist der Fall für die Bank Sarasin. Das Institut, das
erst vor wenigen Wochen mit der Bank Safra eine neue Eigentümerin
erhalten hat, will zu den Vorwürfen mit Verweis auf das
Bankkundengeheimnis keine Stellung nehmen.
Hildebrand und die SNB lassen
derzeit von einer Rechtsanwaltskanzlei prüfen,
ob Strafanzeige gegen
einen oder mehrere Dritte wegen Verletzung des
Bankkundengeheimnisses
erstattet werden soll. Das bestätigt eine
Vertrauensperson, die in
dieser Sache in engem Kontakt mit Hildebrand steht.
Die Anwälte klären
auch ab, ob die Bank ihre Sorgfaltspflichten
verletzt haben könnte. Wann
Hildebrand beziehungsweise die SNB
eine Anzeige einreichen, ist laut
seiner Vertrauensperson noch offen.
«Die Zeit spielt für Hildebrand. Die
Staatsanwaltschaft soll mit sehr substanziellen
Informationen versorgt
werden.»
Die Verletzung des Bankkundengeheimnisses ist laut Basler
Staatsanwaltschaft mdash; hier hat die Bank Sarasin ihren Hauptsitz — ein
Offizialdelikt. Die Behörde muss also von
Amtes wegen aktiv werden. Noch
hat sie vom Fall aber keine Kenntnis.
Jedenfalls setze man voraus, dass
Anzeige erstattet werde, zumal sich die
Betroffenen zu wehren wüssten,
heisst es in Basel.
Ob sich auch Christoph Blocher mit der Weitergabe der Bankdaten,
die ein Bankangestellter entwendet hat, strafbar gemacht hat,
ist gemäss
Aussagen verschiedener Juristen nicht auf den ersten Blick klar.
«Möglich ist es, deshalb wird es überprüft»,
sagt Hildebrands
Vertrauensperson. Sowohl für die Bank Sarasin
wie auch für Christoph
Blocher gilt die Unschuldsvermutung.
Die Finanzmarktaufsicht führt in diesem Zusammenhang keine
Untersuchung durch. Laut Finma-Sprecher Tobias Lux
würde die Behörde nur
dann tätig, wenn der Verdacht bestünde, dass in einer
Bank die internen
Abläufe derart fehlerhaft seien, dass das
Bankkundengeheimnis gar nicht
gewährleistet werden könne.
Wenn aber mutmasslich ein Bankangestellter
das Bankkundengeheimnis verletze,
sei die Strafverfolgungsbehörde
zuständig.
Bizarre Gerüchte werden gezielt gestreut
Blocher und seine Mitstreiter wollen die Niederlage bei ihrem
neuerlichen Angriff auf die SNB offenbar nicht
akzeptieren. Im Verlauf
der vergangenen Woche wurde (auch) die
SonntagsZeitung unaufgefordert
von Adlaten des SVP-Chefstrategen mit neuen,
bizarr anmutenden Gerüchten
zu angeblichen Verfehlungen Hildebrands
eingedeckt. Warum SVP-Kreise zum
x-ten Mal den Versuch einer Hetzkampagne gegen den Chefnotenbanker
unternehmen, erklären bestens
informierte Gewährsleute mit dem
«Masterplan» der SVP: «Es herrscht ein Kampf der SVP gegen die
Institutionen. Blocher will mit einem möglichst
grossen Machtanteil das
Land nach seinen Vorstellungen formen. Eckpfeiler
sind unter anderem
eine geschwächte Justiz, steuerbare Medien
und eine Nationalbank an der
kurzen Leine.»[⁴]
Hildebrand habe sich seit Ausbruch
der Finanzkrise und
der Rettung der UBS viel zu stark in die Marktwirtschaft — Stichwort:
Regulierung der Grossbanken mdash; eingemischt.
Darum müsse er weg. Die neue
Attacke überrasche nach dem Debakel bei den
Parlaments- und
Bundesratswahlen nicht. «Je grösser die
Niederlage für Blocher ist,
desto aggressiver kämpft er.»
Nach einem vorübergehenden Burgfrieden im
Spätsommer, dank dem sich die SNB auf die Frankenanbindung an den Euro
fokussieren konnte, gehe es nun wieder zur Sache.
«Der Krieg gegen die
Notenbank mit Hildebrand als Symbolfigur
wird fortgesetzt.»
MITARBEIT: REZA RAFI, PASCAL TISHHAUSER