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Doch ein Endlager im Unterland?

Kantonsexperten widersprechen der Nagra: Der Standort Nördlich Lägern soll weiterhin als Endlager für radioaktive Abfälle infrage kommen. Auch Baudirektor Markus Kägi sieht das so, obwohl er dort wohnt.

Lägern
Wird doch radio­ak­ti­ver Ab­fall ge­la­gert? Blick über die Tal­sen­ke der ETH Höng­ger­berg auf die Lä­gern.

Foto: Reto Oeschger

Lägern
Wird doch radio­ak­ti­ver Ab­fall ge­la­gert? Blick über die Tal­sen­ke der ETH Höng­ger­berg auf die Lä­gern.

Foto: Reto Oeschger

Helene Arnet

Vor einem Jahr gab die Nag­ra (Na­tio­na­le Ge­nos­sen­schaft für die La­ge­rung ra­dio­ak­ti­ver Ab­fäl­le) über­ra­schend be­kannt, dass der Stand­ort Nörd­lich Lä­gern im Zür­cher Un­ter­land und im aar­gaui­schen Zur­zi­ge­biet für ein End­la­ger für ra­dio­ak­ti­ve Ab­fäl­le nicht in­fra­ge kom­me. Es müs­se zu tief ge­legt wer­den und ha­be zu we­nig Platz. Dem wi­der­spre­chen nun die Kan­tons­ex­per­ten. In einer Me­di­en­mit­tei­lung spra­chen sie sich ge­stern für den Wei­ter­zug des Stand­orts aus. Laut Tho­mas Flüe­ler, Be­reichs­lei­ter Kern­tech­nik beim kan­to­na­len Amt für Ener­gie (Awel), sind al­le vier vom Kan­ton zu­ge­zo­ge­nen Ex­per­ten ein­hel­lig zum Schluss ge­kom­men, dass die Nag­ra Nörd­lich Lä­gern zu früh aus dem Spiel ge­nom­men ha­be.

Kon­kret kri­ti­sie­ren die Ex­per­ten, die Nag­ra ha­be nicht schlüs­sig nach­ge­wie­sen, dass der Platz für ein Tie­fen­la­ger nicht aus­rei­che. Auch sei die Ar­gu­men­ta­ti­on nicht halt­bar, wes­halb die dort er­rech­ne­te La­ger­tie­fe von 900 Me­tern aus­zu­schlies­sen sei. Bau­tech­nisch sei dies mach­bar. Zu­dem sei­en im Be­reich der Ero­si­ons­pro­zes­se auch bei den von der Nag­ra vorge­schla­ge­nen Stand­or­ten Zü­rich-Nord­ost im Wein­land und Ju­ra-Ost AG noch zu vie­le Fra­gen of­fen, um sich be­reits auf die­se bei­den fest­zu­le­gen. Ein­ver­stan­den sind die Ex­per­ten da­mit, dass die Stand­or­te Wel­len­berg NW/OW, Süd­ran­den SH und Ju­ra-Süd­fuss SO/AG aus­ge­schie­den wur­den.

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Nagra urteilte vorschnell

Fa­zit lau­tet: Man sol­le in der näch­sten Etap­pe ne­ben den Stand­or­ten Zü­rich-Nord­ost und Ju­ra-Ost AG auch Nörd­lich Lä­gern ge­nau­er un­ter die Lu­pe neh­men. «Al­le drei Stand­or­te wei­sen Schwä­chen und Stär­ken auf», sagt Flüe­ler. Die­se soll­ten sau­ber ge­gen­ein­an­der ab­ge­wo­gen wer­den. Nur so sei ge­währ­lei­stet, dass der si­cher­ste Stand­ort üb­rig blei­be. So wer­tet Flüe­ler den Um­stand, dass an der Lä­gern das La­ger ver­gleichs­wei­se tief ge­legt wer­den müss­te, als Vor- und Nach­teil. Durch den Stol­len müs­se zwar eine brei­te­re Ge­steins­schicht ge­stört wer­den, da­für sei das La­ger ge­schütz­ter vor Ero­si­on durch Glet­scher und Durch­bruchs­rin­nen. «Die Grün­de der Nag­ra, dass sie Nörd­lich Lä­gern zu­rück­ge­stellt hat, hal­ten einer kri­ti­schen Über­prü­fung nicht stand», sagt Flüe­ler.

Grafik
TA-Grafik ib / Swisstopo, Are BFE, Nagra

Regie­rungs­rat Mar­kus Kä­gi (SVP) stellt sich voll und ganz hin­ter die Stel­lung­nah­me der Kan­tons­ex­per­ten, ob­wohl er sich da­mit po­li­tisch einen Bä­ren­dienst er­weist: Nun sind es im Kan­ton Zü­rich wie­der zwei Re­gio­nen, die für ein End­la­ger ato­ma­rer Ab­fäl­le in­fra­ge kom­men — und dar­über wohl kaum er­freut sind. So hat sich im Wein­land be­reits brei­ter Wi­der­stand ge­gen ein even­tu­el­les End­la­ger for­miert, in dem die lin­ken und grü­nen Be­den­ken sich mit den Sor­gen der Bau­ern tref­fen. Zu­dem kann man dem Bau­di­rek­tor nicht vor­wer­fen, dass er nicht über den eige­nen Gar­ten­zaun hin­aus se­he: Kä­gi wohnt in Nie­der­glatt und holt sich da­mit das End­la­ger mög­li­cher­wei­se vor die eige­ne Haus­tür. «Hier geht es nicht um Po­li­tik und auch nicht um re­gio­na­le In­ter­es­sen, son­dern um die Si­cher­heit», sagt Mar­kus Kä­gi, der im Aus­schuss der Kan­to­ne den Vor­sitz hat. Er hat­te be­reits, als die Nag­ra Nörd­lich Lä­gern aus­schloss, Zwei­fel ge­äus­sert, ob dies nicht zu früh kom­me. «Das hat sich nun be­wahr­hei­tet.» Für ihn ste­he im Vor­der­grund, dass die­se Stand­ort­wahl äus­serst se­ri­ös und trans­pa­rent durch­ge­führt wer­de.

In der Re­gi­on Zü­rich-Un­ter­land rea­giert man ge­fasst und sach­lich. Hans­pe­ter Lien­hart, Prä­si­dent der Re­gio­nal­kon­fe­renz Nörd­lich Lä­gern, er­war­tet, dass man de­tail­liert über die Er­geb­nis­se in­for­miert wer­de, und hofft, nicht in einen «Streit der Ex­per­ten» hin­ein­ge­zo­gen zu wer­den. Um kei­ne Zeit zu ver­lie­ren, ar­bei­te die Re­gio­nal­kon­fe­renz ab so­fort so, als kom­me der Stand­ort noch in­fra­ge. Ähn­li­ches liess die Nag­ra selbst be­reits Mit­te De­zem­ber ver­lau­ten: Sie wer­de auch für den Stand­ort Lä­gern-Nord die vom Eid­ge­nös­si­schen Nuk­le­ar­si­cher­heits­in­spek­to­rat (Ensi) ver­lang­ten Nach­for­de­run­gen pla­nen, um kei­ne Zeit zu ver­lie­ren. Was ein Hin­weis dar­auf sein könn­te, dass sie sich ih­rer Sa­che selbst nicht ganz si­cher war.

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Entscheid fällt Ende 2018

Der Fach­be­richt der Kan­to­ne wird nun an den Bund wei­ter­ge­lei­tet. Und die Nag­ra wird die vom Ensi ge­for­der­ten Zu­satz­do­ku­men­ta­tio­nen bis Mit­te 2016 vor­le­gen. Dar­auf ba­sie­rend, wird das Ensi sein Gut­ach­ten im Früh­ling 2017 ab­schlies­sen und eine wei­te­re Run­de mit Be­ur­tei­lun­gen und Ver­nehm­las­sun­gen ein­lei­ten. Der Bun­des­rat wird vor­aus­sicht­lich En­de 2018 über die Stand­ort­vor­schlä­ge der Nag­ra ent­schei­den. Ur­sprüng­lich wur­de der Ent­scheid auf En­de 2017 an­ge­kün­digt.

Dann star­tet die Etap­pe 3: Es er­fol­gen Boh­run­gen zur ver­tief­ten Un­ter­su­chung der Geo­lo­gie, zu­dem wer­den das Be­wil­li­gungs­ge­such und die Ent­schä­di­gungs­fra­ge vor­be­rei­tet. Der Bau der Stol­len und Ka­ver­nen er­folgt zwi­schen 2035 und 2041. Die In­be­trieb­nah­me ist für das Jahr 2048 vor­ge­se­hen.

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Bei der Axpo droht der Ausverkauf

Der Kanton Zürich erwägt, seine Anteile an der Axpo abzustossen — doch andere Kantone zeigen kaum Interesse am Energiekonzern.

Anita Merkt

Kürz­lich wur­de be­kannt, dass der Kan­ton Zü­rich über den Ver­kauf sei­ner An­tei­le am AKW- und Was­ser­kraft­kon­zern Ax­po nach­denkt. Da stellt sich die Fra­ge: Wer könn­te In­ter­es­se ha­ben an die­sen An­tei­len? Ak­tu­ell kann der Kan­ton Zü­rich sei­nen knapp 37-pro­zen­ti­gen An­teil nur an die an­de­ren Ax­po-Mit­eigen­tü­mer-Kan­to­ne oder de­ren Ver­sor­gungs­un­ter­neh­men ver­kau­fen. So steht es im Grün­dungs­ver­trag der Ax­po. Soll­te der Kreis po­ten­zi­el­ler Käu­fer auf Ex­ter­ne aus­ge­dehnt wer­den, müss­te der Ver­trag ge­än­dert wer­den. In den an­de­ren Ax­po-Kan­to­nen ist das Kauf­in­ter­es­se al­ler­dings höchst li­mi­tiert.

Der Kan­ton Aar­gau ha­be kei­ne Ab­sicht, sei­ne An­tei­le an der Ax­po zu er­hö­hen, sagt der zu­stän­di­ge Re­gie­rungs­rat Ste­phan At­ti­ger (FDP). Der Schaff­hau­ser Re­gie­rungs­rats­prä­si­den­ten Re­to Du­bach (FDP) geht noch wei­ter: Auch sein Kan­ton den­ke dar­über nach, sich von sei­nem Ax­po-An­teil zu tren­nen. «Wir ma­chen uns seit ge­rau­mer Zeit Ge­dan­ken, die sich mit den Über­le­gun­gen von Zü­rich dec­ken», sagt Du­bach. «Die Ax­po hat für die Ver­sor­gungs­si­cher­heit der Kan­to­ne nicht mehr die glei­che Be­deu­tung wie frü­her.»

Der Aar­gau­er Bau­di­rek­tor At­ti­ger for­dert an­ge­sichts der Zür­cher Ver­kaufs­über­le­gun­gen, dass «die stra­te­gi­sche Aus­rich­tung der Be­tei­li­gung ge­nau­so wie eine an­ge­pass­te Eigen­tü­mer­stra­te­gie zu­sam­men mit den an­de­ren Eig­ner­kan­to­nen er­fol­gen muss». Die Ab­stim­mung mit den an­de­ren Kan­to­nen ist schon des­we­gen nö­tig, weil eine Än­de­rung des über 100-jäh­ri­gen Grün­dungs­ver­trags nur ge­mein­sam er­fol­gen kann.

Hin­ter­grund des be­schränk­ten In­ter­es­ses an der Ax­po ist de­ren wirt­schaft­li­che Si­tua­ti­on. Frü­her hat­te der Kon­zern den Kan­to­nen Di­vi­den­den in Mil­lio­nen­hö­he ein­ge­tra­gen. Doch seit die Strom­prei­se ein­ge­bro­chen sind, gibt es nichts mehr.

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Interesse aus dem Ausland?

Nach An­sicht von Ener­gie­ex­per­ten kom­men als In­ter­es­sen­ten an frei wer­den­den Ax­po-An­tei­len am ehe­sten aus­län­di­sche In­ve­sto­ren in­fra­ge. Die Angst vor aus­län­di­schen Be­tei­li­gun­gen müs­se man über Bord wer­fen, sagt Pat­rick Dümm­ler vom Think­tank Ave­nir Suis­se.

Zu­dem sei­en an­ge­sichts der heu­ti­gen Strom­prei­se Ab­schrei­bun­gen wahr­schein­lich. «Die Spit­zen­zei­ten über Mit­tag, mit de­nen die Ax­po frü­her viel Geld ver­dien­te, wer­den auf dem euro­päi­schen Markt heu­te von er­neu­er­ba­ren Ener­gi­en ab­ge­deckt», sagt Dümm­ler. Das Bu­si­ness­mo­dell der ein­sti­gen Strom­ba­ro­ne ha­be sich über­lebt. «Wenn die Ax­po-Ak­ti­en an der Bör­se ge­han­delt wür­den, wä­re der Kurs si­cher ein­ge­bro­chen.»

Ver­tre­ter des Zür­cher Kan­tons­par­la­ments be­wer­ten einen Ver­kauf ins Aus­land skep­tisch. Ros­ma­rie Joss (SP), Prä­si­den­tin der Ener­gie­kom­mis­si­on, fin­det es ge­fähr­lich, wenn der Kan­ton sei­ne Ener­gie­ver­sor­gung aus der Hand gibt. «Ein pri­va­ter In­ve­stor könn­te die ma­xi­ma­le Ren­di­te her­aus­ho­len wol­len und ist nicht zwin­gend in­te­res­siert, die Kraft­wer­ke lang­fri­stig zu be­trei­ben», sagt sie. Ver­kau­fe der Kan­ton sei­ne Ax­po-An­tei­le an Pri­va­te, müs­se er sich wo­mög­lich spä­ter für teu­res Geld wie­der in die Strom­ver­sor­gung ein­kau­fen.

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