Hätte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) merken müssen, dass die Privatbank HSBC in Genf über Jahre Vermögen von kriminellen Kunden verwaltete? Ja, meinen vorab linke Politiker und bereiten nach den Swissleaks-Enthüllungen Vorstösse im Parlament vor. Doch auch aus dem bürgerlichen Lager wird Kritik laut. Die Vorwürfe gegen die Finma seien wenig hilfreich für den Bankenplatz Schweiz, sagt der Zürcher Banker und FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann. «Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf die sorgfältige Abklärung dieser Vorwürfe.»
Portmann wünscht sich deshalb eine Untersuchung der Aufsichtsbehörde durch die Geschäftsprüfungskommission (GPK). Deren Präsident, SVP-Nationalrat Rudolf Joder (BE), zeigt sich offen: Schon früher habe man festgestellt, dass die Kontrolle der Finma durch die Politik eingeschränkt sei. «Der Fall HSBC bestätigt diesen Befund. Darum muss die Finma jetzt ein Thema für die GPK werden.»
Derweil warnte die designierte US-Justizministerin Loretta Lynch, dass gegen die Bank und deren Verantwortliche ein Strafverfahren eröffnet werden könnte. Der von ihr abgesegnete Vergleich mit HSBC von 2012 würde sie nicht daran hindern, die Schrauben erneut anzuziehen. In einem Brief an die Rechtskommission des Senats präzisierte Lynch, dass mit dem Vergleich die Beihilfe zu Sanktionsumgehungen geahndet wurde, doch «dies gibt der Bank keinen Schutz gegen andere» illegale Aktivitäten. Eine Vertreterin der Notenbank doppelte bei einem Hearing im Senat nach. Beide Behörden schliessen nicht aus, dass die HSBC diesmal nicht mit einem Vergleich davonkommen könnte.
Mitten im Wahlkampf hat die HSBC-Affäre den britischen Premierminister David Cameron empfindlich getroffen. Was hat Cameron gewusst? Die oppositionelle Labour Party verlangt eine umfassende Klärung dieser Frage.
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Kommentar
Philippe Loser, Inlandredaktor; über Zweifel an der Finma. |
Kommentar
Philippe Loser, Inlandredaktor; über Zweifel an der Finma. |
Es will einfach nicht aufhören. Nach jeder Millionenbusse einer Schweizer Bank im Ausland, nach jeder negativen Schlagzeile, hofft man: Das war es jetzt. Doch die Realität ist eine andere. Das Zerrbild des geldgierigen und verschwiegenen Schweizer Bankers, der ohne Skrupel auch das schmutzigste Geld dieser Erde verwaltet und vermehrt, bleibt stilbildend für die Wahrnehmung der Schweiz. Die internationale Berichterstattung über die Swissleaks-Enthüllungen bei der Privatbank HSBC vermittelt ein Gefühl davon.
Lange Zeit war das den meisten Schweizern egal. Das Bankgeheimnis war trotz all seinen Randerscheinungen (von denen man immer wusste) eine Säule der eigenen Identität. Die Schweizer waren stolz auf ihre Banker. Stolz auf den eigenen Geschäftssinn.
Es scheint lange her. Stück für Stück gab die Schweiz das Bankgeheimnis nach der Finanzkrise auf. Unter Druck von aussen reformierte die Schweiz ihr ältestes Geschäftsmodell. Sogar die FDP, die Partei der Bahnhofstrasse, die Partei des Bankgeheimnisses, hat den Widerstand aufgegeben. Wenn heute ein Banker wie der Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann zur Untersuchung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) aufruft und die Vorwürfe an deren Adresse (und die Adresse der Banken) nicht von vornherein als gegenstandslos verwirft, dann zeigt das, wie gross der Sinneswandel bei gewissen Vertretern der Finanzwirtschaft tatsächlich ist.
Es ist ein nötiger Sinneswandel: Eine Aufarbeitung der eigenen dunklen Vergangenheit und eine Zukunft als tatsächlich sauberer Finanzplatz kann nur gelingen, wenn jeder Zweifel an der Redlichkeit der beteiligten Akteure ausgeräumt ist. Dreimal hat die Finma die Privatbank HSBC in Genf untersucht, dreimal ist die Bank glimpflich davongekommen. Mit Absicht? Portmann hat recht: Die Vorwürfe an die Finma (mögen sie nun stimmen oder nicht) hinterlassen ein ungutes Gefühl und schaden den Bestrebungen für einen sauberen Finanzplatz. Das Verhalten der Finma im Fall HSBC gehört durch eine parlamentarische Untersuchung sauber abgeklärt. Sonst hört es wirklich nie mehr auf.
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«Das Besondere an dem Konto ist, dass es ‹nicht deklariert› ist. […] Die Familie schätzte die Idee, das Geld auf dem Konto durch Gebrauch einer Kreditkarte aufzubrauchen.»
Kontakt: London, England
Notizen vom 9.2.2005 und 8.11.2005
«Er fragt nach Informationen, um eine Schweizer Gesellschaft zu gründen. Wird mir diesbezüglich eine E-Mail schreiben. […] NE COMPREND PAS GRANDE CHOSE.»
Kontakt: Unbekannter Ort
Notiz vom 14.1.2005
«Kunde wollte Formulare zur Eröffnung des Kontos nicht ausfüllen und unterschreiben. Er will, dass wir sie ausfüllen und ihm nur zum Unterschreiben zuschicken.»
Kontakt: London, England
Notiz vom 11.1.2005
«Kundin extrem enttäuscht von unserer Arbeit, hat ihren ganzen Zorn brüllend an mir ausgelassen.»
Kontakt: Antwerpen, Belgien
Notiz vom 20.6.2005
«Kunde freute sich sehr, Frau des Relationship-Managers kennen zu lernen. Einladung für meine Frau, nächsten Sommer eine Nacht auf der Motorjacht in Monaco zu verbringen.»
Kontakt: St. Moritz, Schweiz
Notiz vom 30.3.2005
Kontakt: London, England
Notizen vom 9.2.2005 und 8.11.2005
Kontakt: Unbekannter Ort
Notiz vom 14.1.2005
Kontakt: London, England
Notiz vom 11.1.2005
Kontakt: Antwerpen, Belgien
Notiz vom 20.6.2005
Kontakt: St. Moritz, Schweiz
Notiz vom 30.3.2005
Laut Politikern hat die Finma die Geschäfte am Sitz von HSBC Schweiz in Genf zu lasch beaufsichtigt.
Foto: Mark Henley (Panos Pictures)
Laut Politikern hat die Finma die Geschäfte am Sitz von HSBC Schweiz in Genf zu lasch beaufsichtigt.
Foto: Mark Henley (Panos Pictures)
Im Lichte der heutigen Erkenntnisse, nach Swissleaks und den dokumentierten Millionen von Franken, die nach Genf und wieder aus Genf hinausflossen, mit all diesem Wissen liest sich die Medienmitteilung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) vom 28. Februar 2011 etwas seltsam.
Nach einer «umfangreichen Untersuchung» anlässlich des Datendiebstahls bei der HSBC, so heisst es in der Mitteilung, «rügt die Finma Mängel bei der internen Organisation und der Kontrolle der IT-Aktivitäten der Bank». Die Folge: eine offizielle Rüge und die Forderung, «die Massnahmen zur Herstellung der erforderlichen IT-Sicherheit» konsequent weiterzuführen.
Roger Nordmann, SP-Nationalrat aus dem Kanton Waadt, liest die Medienmitteilung laut am Telefon vor und unterbricht sich immer wieder selber, um seinem Ärger Luft zu machen. «Das ist doch grotesk! Eine Schande!» Da verstosse eine Bank offensichtlich gegen das Geldwäschereigesetz und das Einzige, was der Aufsicht dazu einfalle, sei die Untersuchung des Datendiebstahls durch Hervé Falciani — und nicht etwa die Untersuchung des Dateninhalts. «Der Fall Swissleaks ist auch ein Fall Finma.»
Nordmann hat einen etwas engen Fokus — zusätzlich zur IT-Sicherheit hat die Finma nach dem Datendiebstahl von 2007 auch zwei Verfahren im Geldwäschereibereich gegen die HSBC durchgeführt und die Bank gerügt, weil sie im April 2013 die Angehörigen des ehemaligen tunesischen Diktators Ben Ali zu wenig überprüfte. Doch das lassen Nordmann und andere Vertreter der Linken nicht gelten. Für SP-Nationalrat Cédric Wermuth (AG) bestätigt Swissleaks seinen langjährigen Verdacht, dass es im Rahmen der Aufsichtstätigkeit der Finma ein Gentlemen’s Agreement gebe, bei den Banken nicht so genau hinzusehen. «Und wenn die Finma dann einmal tatsächlich eine Verletzung des Geldwäschereigesetzes festgestellt hat, waren die Sanktionen lächerlich.»
Eine Untersuchung durch die Geschäftsprüfungskommission sei das mindeste, sagen Wermuth und Nordmann. Beide bereiten nun entsprechende Vorstösse für die Frühlingssession vor.
Nach der Veröffentlichung der Datenanalyse der Kundendaten der Privatbank vom Montag hat es nicht lange gedauert, bis auch die Finanzmarktaufsicht in den Fokus rückte. «Die Finma sieht nicht, wenn ein Elefant neben ihr vorbeiläuft», sagte Alt-Ständerat Dick Marty (FDP) in einem Interview mit den Westschweizer Zeitungen «Le Courrier» und «La Liberté» von gestern. Die Behörde übersehe schweren Betrug und sei pingelig, wenn es um kleine Verfehlungen gehe.
Der Zürcher FDP-Nationalrat und Banker Hans-Peter Portmann mag nicht so weit gehen wie Marty — aber für einen Vertreter des bürgerlichen Lagers ist er überraschend deutlich: Wenn die Finma im Fall der HSBC auf einen Verstoss gegen das Geldwäschereigesetz gestossen sei, hätte sie Anzeige erstatten müssen. «Es ist nun an den politischen Aufsichtsgremien, diesen Fall abzuklären.» Die Vorwürfe, die gegen die Finma im Raum stünden, seien wenig hilfreich für den Bankenplatz Schweiz. Die Öffentlichkeit habe ein Recht auf die sorgfältige Abklärung der Vorfälle: «Im besten Fall wird die Finma entlastet.» Portmann geht davon aus, dass sich die GPK bald mit dem Fall beschäftigen wird.
Rudolf Joder (SVP, BE), Präsident der nationalrätlichen GPK, ist offen für eine Untersuchung der Finma durch sein Gremium. Seit einem Jahr liegt ein generelles Gutachten über die Aufsichtsfunktion der GPK gegenüber der Finma vor. Schon früher habe man festgestellt, dass die Kontrolle solcher ausgelagerten Betriebe heute eingeschränkt sei. «Der Fall HSBC bestätigt diesen Befund», sagt Joder. «Darum muss die Finma jetzt ein Thema für die GPK werden.»
Bei der Aufsichtsbehörde will man die Anwürfe aus der Politik nicht weiter kommentieren. «Sollte es entsprechende Fragen und Vorstösse aus dem Parlament geben, werden wir wie üblich Rede und Antwort stehen», sagt Finma-Sprecher Tobias Lux. Im Fall von HSBC sei die Aufsichtstätigkeit seit dem Fall Falciani erheblich intensiviert worden. Lux: «Wenn wir Hinweise erhalten, dass Bestimmungen nicht eingehalten werden, gehen wir dem nach, führen wo nötig ein Verfahren durch und ordnen Massnahmen an, damit Schwächen und Fehler korrigiert werden. Das ist unser Auftrag.»
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Die Chefin der Behörde soll dem Parlament bereits heute Auskunft über das lasche Vorgehen gegen Steuersünder geben.
Die Chefin der Behörde soll dem Parlament bereits heute Auskunft über das lasche Vorgehen gegen Steuersünder geben.
Peter Nonnenmacher, LondonMitten im Wahlkampf hat die HSBC-Affäre den britischen Regierungschef David Cameron empfindlich getroffen. Am Dienstag musste der Tory-Premier sich gegen den Vorwurf verteidigen, über Steuerhinterziehungs-Praktiken bei HSBC geschwiegen und den Ex-HSBC-Boss, Lord Stephen Green, zum Staatssekretär für Handel gemacht zu haben, obwohl dem britischen Steueramt Dokumente über systematische Steuer-Kriminalität bei HSBC vorlagen. Cameron erklärte dazu, weder er noch irgend einer seiner Minister hätten vor dem vergangenen Wochenende auch nur die leiseste Ahnung davon gehabt, dass HSBC über ihre Schweizer Filiale sich irgendwelcher Vergehen schuldig gemacht habe. Das wurde prompt vom britischen Steueramt bestätigt. Die Behörde will die ihr 2010 von Frankreich zugespielten Daten über HSBC im eigenen Land an niemanden weitergegeben haben — angeblich weil sie glaubte, dass ihr eine Weitergabe nicht gestattet gewesen sei.
Die oppositionelle Labour Party, die vor den Wahlen einen härteren Kurs gegen Steuerhinterziehung verspricht, verlangt aber umfassende Aufklärung in dieser und in anderen Fragen. Die Partei bezweifelt, dass der Regierung nichts von den Anschuldigungen gegen HSBC bekannt war, als Premier Cameron Lord Green zum Staatssekretär machte und als das Steueramt sich für eine Politik minimaler Strafverfolgung von Steuerschwindlern entschied.
Bereits heute soll die Chefin der Steuerbehörde, Lin Homer, dem Unterhaus-Ausschuss für öffentliche Finanzen Rede und Antwort stehen. Danach will der Ausschuss Lord Green vorladen. Gegebenenfalls sollen auch einzelne Minister vernommen werden. Jetzt tue «eine dringende Untersuchung» not, sagte die Ausschuss-Vorsitzende Margaret Hodge.
Die britischen Behörden erhielten die HSBC-Daten von französischer Seite im Mai 2010 — just zum Zeitpunkt des Regierungsantritts Camerons. Dennoch ergriff man in der Folge in London weder rechtliche Schritte gegen die Bank, noch suchte man betroffene Kunden zu verfolgen. Nur etwa 1100 der fast 7000 übermittelten Kundennamen mit britischer Adresse waren vom Steueramt wegen Nach- und Strafzahlungen angegangen worden. Und nur in einem einzigen Fall, in dem gegen einen Kunden bereits ermittelt wurde, kam es zu einer Strafverfolgung. Statt dessen suchte das Amt in privaten Deals, ohne Namensnennung, hinterzogene Gelder hereinzubekommen. Insgesamt kamen aber nur 135 Millionen Pfund zusammen, deutlich weniger als in anderen Ländern.
Ex-Chef wird HSBC-Berater David Hartnett, der 2010 Chef des britischen Steueramts war, beteuert unterdessen, dass es «nie Absicht» seiner Behörde gewesen sei, «die Identität von HSBC-Kunden bewusst zu verheimlichen». Der «weichere» Kurs sei seinen Leuten einfach als der aussichtsreichste erschienen. Zudem sei die Behörde bei der Übergabe der HSBC-Daten darauf verpflichtet worden, diese Informationen an niemanden weiterzugeben, sagte Hartnett. Man habe das so verstanden, dass auch die eigene Regierung und Ämter wie die Londoner Finanzdienstleistungs-Aufsicht nichts von den Anschuldigungen erfahren dürften.
Hartnett selbst war, wie der «Guardian» berichtet, nach seiner Pensionierung 2012 von HSBC als Berater eingestellt worden. Im Februar 2010, damals noch als Chef der Steuerbehörde, soll er HSBC einen «privaten» Besuch abgestattet haben — wenige Tage nachdem die Existenz der französischen HSBC-CD bekannt geworden war.
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