K-Tipp Nr. 9, 2017
Bahnexperte: Hilfsbereite Zugbegleiter sind günstiger — misstrauische Bahnpolizisten schaffen ein aggressives Klima.
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K-Tipp Nr. 9, 2017
«Wohlbefinden bleibt auf der Strecke»
Passagiere in Regionalzügen und S−Bahnen bekommen Bahnangestellte nur noch selten zu Gesicht. Und wenn, sind es meist unangenehme Kontrollpatrouillen.
Passagiere in Regionalzügen und S−Bahnen bekommen Bahnangestellte nur noch selten zu Gesicht. Und wenn, sind es meist unangenehme Kontrollpatrouillen.
Peter Schwarzenbach aus Wald ZH ist ein Insider. Während Jahrzehnten arbeitete er als Betriebspsychologe unter anderem für die Swissair, die SBB und den Zürcher Verkehrsverbund. Eines versteht er bis heute nicht: «Warum fahren im Fernverkehr zwei Kondukteure mit, im Regionalverkehr aber keiner?»
Den Entscheid fällten die SBB vor rund zwanzig Jahren. Er entsprang keiner Logik. Denn im Regionalverkehr und im Fernverkehr sind die gleichen Passagiere unterwegs. Und die Strecken unterscheiden sich auch nicht gross: Von Bern nach Zürich braucht der Intercity 56 Minuten, die S−Bahn von Winterthur nach Rapperswil SG 54 Minuten.
Der Entscheid für unbegleitete Regionalzüge war eine reine Sparmassnahme. Und sie wurde seither noch ausgedehnt. Inzwischen hat es auch auf Fernverkehrslinien wie Bern–Biel BE keine Kondukteure mehr.
Der K-Tipp wollte von den SBB wissen, warum die Züge im Fernverkehr begleitet unterwegs seien, im Regionalverkehr jedoch unbegleitet. Die Antwort: In Regionalzügen seien vor allem Berufspendler unterwegs. Diese besässen in der Regel ein Abonnement. Daher seien Stichkontrollen ausreichend.
Wie viel diese Kontrollen, die Sicherheitsmassnahmen und das Inkasso heute kosten, wollen die SBB nicht bekannt geben. Und wie viel Kondukteure in Regionalzügen kosten würden, sei «nicht bezifferbar». Mit anderen Worten: Die SBB wissen selber nicht, ob das heutige System günstiger ist.
Klar ist, dass sich das Bussensystem überhaupt nicht bewährt. Nur ein Viertel der Gebüssten zahlt laut SBB «mehr oder weniger innerhalb der Frist». Wie viele gar nie zahlen, also auch nicht nach Mahnungen und Betreibungsandrohungen, wollen die SBB nicht sagen. Aber sie räumen ein, dass ihnen jedes Jahr «ein zweistelliger Millionenbetrag entgeht».
Der K-Tipp wollte von den SBB wissen, warum die Züge im Fernverkehr begleitet unterwegs seien, im Regionalverkehr jedoch unbegleitet. Die Antwort: In Regionalzügen seien vor allem Berufspendler unterwegs. Diese besässen in der Regel ein Abonnement. Daher seien Stichkontrollen ausreichend.
Wie viel diese Kontrollen, die Sicherheitsmassnahmen und das Inkasso heute kosten, wollen die SBB nicht bekannt geben. Und wie viel Kondukteure in Regionalzügen kosten würden, sei «nicht bezifferbar». Mit anderen Worten: Die SBB wissen selber nicht, ob das heutige System günstiger ist.
Klar ist, dass sich das Bussensystem überhaupt nicht bewährt. Nur ein Viertel der Gebüssten zahlt laut SBB «mehr oder weniger innerhalb der Frist». Wie viele gar nie zahlen, also auch nicht nach Mahnungen und Betreibungsandrohungen, wollen die SBB nicht sagen. Aber sie räumen ein, dass ihnen jedes Jahr «ein zweistelliger Millionenbetrag entgeht».
Peter Schwarzenbach bezweifelt, dass sich damit Geld sparen lässt. Und er zählt auf, in welcher Form die unbegleiteten Regionalzüge trotzdem Kosten verursachen:
Schwarzenbach: «Ich gehe davon aus, dass das alles mehr kostet als begleitete Züge.» Doch solange die SBB die Zahlen nicht nennen können oder wollen (siehe Kasten), kann er diese Vermutungen nicht untermauern.
Wichtiger als die finanziellen Auswirkungen ist für ihn die Stimmung, die geschaffen wird: «Die Stationen sind unbedient, die Züge unbegleitet. Diese Anonymität führt zu Gleichgültigkeit oder Aggression. Beides ist schlecht.»
Wenn doch einmal ein Kontakt von Mensch zu Mensch zustande komme, sei dieser häufig unerfreulich: «Entweder handelt es sich um einen Überraschungsangriff von Stichkontrolleuren oder dann um ein grösseres Problem mit Sicherheitsleuten. Positive Erlebnisse mit Bahnangestellten kann es so gar nicht geben. Die SBB schaffen ein Klima des Misstrauens.»
Peter Schwarzenbach, Betriebspsychologe
«Die Anonymität in den Zügen führt zu Gleichgültigkeit oder Aggression»
Schlecht zu sprechen ist Peter Schwarzenbach insbesondere auf die Firma Securitas: «Sie lässt die Sicherheitsleute mit ihren Kampfstiefeln, Pfeffersprays, Schlagstöcken und den Daumen im Gurt in Rambo-Manier durch die Züge stapfen. Manche Passagiere belächeln sie, andere werden aggressiv.»
Dabei würden über 95 Prozent der Passagiere keinerlei Probleme machen. «Sie haben ein Billett, und sie benehmen sich anständig. Der ganze Personalaufwand ist auf die restlichen 5 Prozent ausgerichtet. So entsteht eine ungastliche Atmosphäre.»
«Früher», erklärt Schwarzenbach, «gaben Kondukteure Auskünfte, halfen alten Leuten beim Ein- und Aussteigen, wiesen auf freie Plätze hin, kontrollierten und verkauften Billette, sorgten für Ordnung und Sicherheit. Heute verteilen die Stichkontrolleure, wenn sie mal auftauchen, einfach nur Bussen. Das Wohlbefinden bleibt auf der Strecke.»
Das ist nicht verwunderlich. Denn im Stellenbeschrieb für «Mitarbeiter/in Zugpersonal im Regionalverkehr» der SBB steht: «Im Vordergrund stehen die Einnahmensicherung und das Sicherheitsempfinden unserer Fahrgäste.»
Die hohen Bussen für Passagiere ohne Billett würde Schwarzenbach abschaffen. Denn sie seien auch für die Kondukteure eine Belastung: «Manchmal haben sie sogar Angst davor, Bussen auszusprechen.»
Übrigens: Die BLS beschreitet einen andern Weg. Seit anderthalb Jahren fahren die Regio-Express-Züge auf vier Linien wieder begleitet. Gegen eine Gebühr von zehn Franken verkaufen die Kondukteure sogar Billette.
Deshalb klingt der Stellenbeschrieb für Reisebegleiter der BLS auch freundlicher: «Sie mögen die Nähe zu Menschen. Sie begrüssen unsere Kunden, begleiten diese während der Fahrt, kontrollieren und verkaufen Fahrausweise, beantworten Fragen, informieren bei Störungen und verabschieden die Fahrgäste am Zielort.»
Marco Diener, Redaktion K−Tipp
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K-Tipp Nr. 10, 2017
Schalter geschlossen: Kunden ins Internet gezwungen
Die SBB erhöhen den Druck auf die Kunden: Statt am Schalter sollen diese ihr Billett im Internet kaufen. Das Verkaufspersonal an den Schaltern ist angehalten, die Kunden aktiv in den Online-Ticketshop zu lenken.
Einmal mehr schliessen die SBB einen bedienten Bahnhof. Jüngstes Opfer: der Bahnhof Killwangen-Spreitenbach AG. Er werde per 1. Juli in eine «Station mit Selbstbedienung» umgewandelt, teilten die Bundesbahnen Mitte April schönfärberisch mit. Konkret heisst das: ein weiterer schalterloser Geisterbahnhof, wo Billette nur noch am Automaten gelöst werden können.
Die SBB begründen die Schliessung mit der angeblich «abnehmenden Nachfrage nach bedientem Verkauf». Mit dem Verweis auf dieses Argument wurden in den letzten Monaten zahlreiche weitere Schalter geschlossen — etwa in Kilchberg ZH, Flüelen UR und Netstal GL.
Die Begründung der SBB ist ein Hohn. Denn die Bahn macht selber viel, um die Passagiere vom Schalter fernzuhalten. So fangen SBB-Angestellte an Bahnhöfen Kunden vor den Schaltern ab, um sie an die Automaten zu verweisen (K-Tipp 10/2016).
Damit nicht genug: Laut der Zeitung der Verkehrspersonal-Gewerkschaft muss das Schalterpersonal auf Weisung der Vorgesetzten dieses Jahr 80'000 Kunden dazu bringen, sich im Internetshop der SBB anzumelden. Die Passagiere sollen ihr Billett statt am Schalter also im Internet kaufen — entweder über die Website oder die SBB-App fürs Handy
Peter Käppler von der Gewerkschaft befürchtet weitere Schalterschliessungen: «Die Angestellten sägen am eigenen Ast, wenn sie die Leute von den Schaltern wegtreiben müssen und diese dann geschlossen werden.»
Pikant: Die Verkaufsstellen müssen eine bestimmte Registrierungsquote erfüllen. Das Erreichen dieses Ziels sollte an einigen Verkaufsstellen gar in die Personalbeurteilung einfliessen. Diesen Plan haben die SBB mittlerweile fallengelassen — nach massivem Protest der Gewerkschaft.
Die SBB sagen dazu auf Anfrage des K-Tipp: «Wir entwickeln alle unsere Verkaufskanäle weiter, damit sie noch einfacher bedienbar werden. Deshalb erklären wir unseren Kunden auch, wie die Automaten und die App funktionieren.»
Mehr Kunden im Internet bringt den SBB Vorteile: Sie sparen nicht nur Schalterräume und Personal ein. Sie sammeln so auch persönliche Daten, die sie gewinnbringend Werbefirmen verkaufen können. In einem Video auf sbb.ch bewirbt die Bahn ihre App als «perfekten Werbeträger». Die Kosten der Werbung hängen davon ab, wie viele Leute ein Inserat ansehen. Pro 1000 Benutzer kostet es 40 Franken.
Dazu kommt: Bei den SBB kann man im Internet kein Billett kaufen, ohne dass man sich einloggt. Und das bedeutet: Kunden müssen persönliche Daten wie Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Klasse, Start und Ziel der Reise sowie das Reisedatum angeben.
Noch dieses Jahr wollen die SBB gemäss Recherchen der Zeitung «Schweiz am Wochenende» zudem den Standort von Kunden abfangen, die ihr Billett mit dem Handy lösen. Auch diese Kundendaten werden an Werbefirmen verkauft. Pro 1000 App-Benutzer müssen die Werber 10 Franken zahlen. So steht es auf der SBB-Website.
Dieses Vorgehen ist umso stossender, als der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte die SBB vor einem Jahr wegen ungerechtfertigter Datensammlerei beim Swisspass gerügt hatte. Damals speicherten die SBB alle Daten aus der Billettkontrolle 90 Tage in einer Datenbank. Unnötig und unverhältnismässig, befand der Datenschützer.
SBB-Sprecher Daniele Pallecchi sagt dazu: «Das Gesetz wird durch die SBB eingehalten.» Die Daten würden nur anonymisiert an die Werbung weitergegeben. Doch warum müssen beim Kauf eines Billetts via App Name, Vorname und Geburtsdatum angegeben werden? Pallecchi: «Solche Tickets sind nicht auf fälschungssicherem Papier ausgedruckt und können kopiert werden.»
Tipp: Die Werbung auf dem Handy kann man ausblenden. So gehts: In der SBB-App oben links auf die drei horizontalen Striche [≡] tippen. Dann zu «Meine Einstellungen» ➜ «Weitere Einstellungen». Das Häkchen bei «Werbung Dritter anzeigen» entfernen. Ob so auch keine persönlichen Daten mehr übermittelt werden, sagt die SBB nicht.
Übrigens: Nur die neueste SBB-App sammelt Daten. Benutzer eines älteren Handys mit der früheren App können von den SBB nicht überwacht werden. Das hat der K-Tipp nachgeprüft.
Markus Fehlmann/Christian Birmele
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K-Tipp Nr. 10, 2017
Peter Salvisberg |
Jeannine Pilloud, Chefin Personenverkehr SBB, war über Ostern im Tessin und musste auf der Rückfahrt im Zug meist stehen. Dazu schreibt sie in ihrer Kolumne im «Blick am Abend»: «Ich werde wohl meine Gewohnheiten ändern müssen, wie das übrigens die vielen klugen Leute, die sich ihren Platz im Voraus gesichert hatten, gemacht haben. Wer vorsorgt, der sitzt. Das ist in Zukunft auch meine Devise!»
Wenn die Chefin des Personenverkehrs der SBB den Leserinnen und Lesern einen Tipp gibt, dann ist er in der Regel nicht gratis. So auch diesmal: Mit Vorsorgen meint Pilloud nämlich Reservieren. Eine Sitzplatzreservation kostet 5 Franken — pro Person. Eine fünfköpfige Familie zahlt so fürs Sitzen Tessin retour 50 Franken zusätzlich. Das ist nichts anderes als eine versteckte Preiserhöhung. Und zwar eine happige.
Die Platzknappheit als Motivationsspritze fürs Reservieren scheint bei den SBB Methode zu werden: Über die Ostertage waren die Wetterprognosen eindeutig und schon einige Tage zum Voraus klar: Sauwetter im Norden, mildes Frühlingswetter im Süden. Jeder, der es sich leisten konnte, zog ein paar Tage Süden in Erwägung. Das bedeutet dann auf der Autobahn Stau. Und auf der Schiene ein gutes Ostergeschäft. Zumal der neu eröffnete Gotthardtunnel die diesjährige Osterreise zusätzlich attraktiv machte. Die SBB aber waren trotzdem vom grossen Andrang überfordert.
Für diejenigen Passagiere, die im Zug von Lugano nach Zürich für teures Geld stehen mussten, gabs nicht einmal einen Trost-Gutschein. Aber immerhin im «Blick am Abend» einen Tipp, wie man mit einem noch teureren Billett in überfüllten Zügen Tessin retour reisen kann.
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