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Korruption: Letzte Chance für den Weltfussballverband
ZÜRICH Am kommenden Dienstag entscheidet der Weltfussballverband Fifa über die Reformvorschläge, die ein unabhängiges Komitee unter Leitung des Basler Strafrechtsprofessors und Anti-Korruptions-Spezialisten Mark Pieth ausgearbeitet hat. Falls die Fifa diese Vorschläge ablehne, habe sie die Chance auf Selbstregulierung verpasst. «Dann muss der Staat eingreifen», sagt Pieth im Interview mit der SonntagsZeitung
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Fifa-Präsident Joseph Blatter in der Pose des grosszügigen Paten: Übergabe des WM-Pokals an Spanien 2010
FOTO:EQ IMAGES
«Wenn die Fifa nicht schaltet, muss der Staat eingreifen»
Strafrechtsprofessor Mark Pieth über die Korruption im Weltfussballverband
VON BENNO TUCHSCHMIDPieth: «Der Druck auf die Fifa ist immens»
ZÜRICH Seit vergangener Woche ist es amtlich: Joseph Blatter und die Fifa wussten von Schmiergeldzahlungen. Am Dienstag entscheidet die Fifa über einschneidende Verbandsreformen. Die SonntagsZeitung sprach mit Mark Pieth, dem Vater der Reform.
Welche Bedeutung hat der Entscheid?
Der Dienstag ist für die Fifa entscheidend. Dann wird sich zeigen, ob im Weltverband vernünftige Menschen am Werk sind.
Und wenn sich zeigt, dass das Fifa-Exekutivkomitee nicht vernünftig ist?
Dann hat die Fifa ihre Chancen auf Selbstregulierung verpasst, und der Staat muss eingreifen.
Das könnte der Staat seit langer Zeit tun. Ist die Schweiz mitverantwortlich?
Das ist ein wichtiger Punkt. Ich arbeite seit zwanzig Jahren im Bereich Korruption und Geldwäscherei, und es taucht immer wieder dieselbe Frage auf: Ist die Schweiz bereit, sich für alles herzugeben? Die Schweiz ist ein chronischer Piratenhafen. Egal, ob Steuerflüchtlinge, Rohstoffhandelsplatz oder unregulierte Sportverbände: All das schadet dem Schweizer Ruf stark.
Das Bundesamt für Sport arbeitet an einem Bericht zur Korruption im Sport.
Alles beginnt mit einem Bericht. Dagegen sage ich nichts. Ich halte nur fest: In der Schweiz fehlt die gute Mischung zwischen Regulierung und Selbstregulierung. Ich sage nicht, dass der Staat alles regulieren muss, aber er muss den Sportverbänden einen Anreiz geben, dass diese sich selbst kontrollieren. Grosse Konzerne wie Novartis oder Nestlé gehen so intensiv gegen Korruption vor, weil sie wissen, dass sie es sonst mit der Justiz zu tun bekommen.
«Im Fussball ist zu viel Geld im Spiel»
VON BEAT SCHÖNENBERGERDie Korruption in der Fifa sorgt für Unmut bei Schweizer Vertretern aus Politik und Sport. Sie kritisieren auch Sepp Blatter. Für SP-Nationalrätin Jacqueline Badran ist der Fall klar: «Sepp Blatter soll zurücktreten. Er ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.» Alt-Bundesrat Samuel Schmid sagt: «Das ruft nach Massnahmen. Sonst läuft die Fifa Gefahr, dass der Schwelbrand weiterglimmt.» Schmid ist Mitglied der Ethikkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOK). Laut IOK-Mitglied Gian-Franco Kasper hat die Fifa ein generelles Problem: «Im Fussball ist zu viel Geld im Spiel. Das fördert die Korruption.» Auch Swiss-Olympic-Präsident Jörg Schild prangert die Korruption bei der Fifa an: «Das schadet nicht nur dem Fussball, sondern dem ganzen Sport.»
Und trotzdem sind Sie gegen einen parlamentarischen Vorstoss, der Bestechung zum Offizialdelikt erklären will.
Weil der Vorstoss neben Sportverbänden auch Charity-Organisationen, Kirchen und die Wirtschaft einschliesst. Es wird schwer, dafür eine Mehrheit zu finden, und wir riskieren, zwei wichtige Jahre zu verlieren. Meiner Meinung nach braucht es bloss einen kleinen Eingriff im Gesetz: Die Sportverbände müssen den internationalen Organisationen gleichgestellt werden. Damit wäre Bestechung ein Offizialdelikt.
Noch immer sind 16 der Schmiergeldempfänger nicht namentlich bekannt. Wird die Fifa-Justiz hier tätig werden?
Prinzipiell kann sie das. Das Verbandsgericht kann in die Vergangenheit schauen. Ob nun 15 oder 20 Jahre, ist noch unklar.
Treten Sie zurück, wenn die Fifa Reformen ablehnt?
Es ist verfrüht, so etwas zu sagen. Ich bin relaxt. Die Veröffentlichung der Einstellungsverfügung hat geholfen. Der Druck auf die Fifa ist jetzt immens.
Die Stimmen mehren sich, die Blatters Rücktritt fordern. Haben Sie dafür Verständnis?
Ja, ich habe dafür Verständnis. Aber ich bin weder Verteidiger noch Staatsanwalt. Meine Rolle bei der Fifa wurde in der Vergangenheit oft missverstanden.
Inwiefern?
Es gab den Vorwurf, das wir nicht in die Vergangenheit schauen. Aber da versteht man etwas grundsätzlich falsch: Wir recherchieren nicht, sondern bauen eine Institution.
Kam die Kritik unerwartet?
In diesem Ausmass, ja. Es wurde vom ersten Tag an geschossen. Für viele ist alles, was auch nur aus der Nähe der Fifa kommt, vom Teufel. Daran ist die Fifa aber nicht ganz unschuldig. Die Art und Weise, wie sie im Fall ISL vorgegangen ist, hat viel zum schlechten Ruf des Verbands beigetragen.
Würden Sie den Job nochmals annehmen?
Auf jeden Fall (lacht). Ich habe ja langjährige Erfahrungen im Aufbau von Governance-Strukturen bei Firmen. Doch es ist neu, dass wir so stark in der Öffentlichkeit stehen. Neu ist auch, mit einem Verband zu arbeiten, der seit 30 Jahren ausserhalb der Justiz steht. In der Vergangenheit war die Arroganz in der Fifa enorm.
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Die Heimlichtuerei der Fifa funktionierte nicht
Hartnäckige Journalisten und das Bundesgericht sorgen für Transparenz
VON MARTIN STOLLZÜRICH — Die Korruptionsvorwürfe sollten still und leise aus der Welt geschafft werden. Nachdem die Zuger Staatsanwaltschaft während Jahren gegen den Weltfussballverband Fifa und die beiden Brasilianer João Havelange und Ricardo Teixeira wegen Veruntreuung und ungetreuer Geschäftsführung ermittelt hatte, stellte Staatsanwalt Thomas Hildbrand im Mai 2010 das Verfahren ein. Unter gewissen Bedingungen ist dies laut Artikel 53 des Strafgesetzbuches möglich. Im Gegenzug bezahlten die Fifa-Funktionäre insgesamt 5,5 Millionen Franken an Wiedergutmachung und Gerichtskosten. Sie meinten, die Geschichte sei damit abgehakt.
Doch sie rechneten nicht mit hartnäckigen Journalisten. Die SonntagsZeitung, genauso wie Journalisten von «Handelszeitung», «Beobachter», «Tageswoche» und der britischen BBC verlangten Einsicht in die Einstellungsverfügung — und stiessen auf erbitterten Widerstand: Die Fifa-Leute mandatierten teure Anwälte.
Das Urteil des Bundesgerichts gegen die Beschwerde ist ein klares Verdikt für transparente Justiz: Nun ist jedes Verfahren, das laut Artikel 53 eingestellt wurde, laut Bundesgericht öffentlich, «wenn darin ausdrücklich eine Rechtsverletzung bejaht wird, die zu einer Verurteilung hätte führen können».