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Die Bundesanwaltschaft (BA) möchte gegen Serge Gaillard, den Finanzdirektor des Bundes, ein Strafverfahren wegen falscher Anschuldigung, Verleumdung, Amtsmissbrauch und versuchter Nötigung eröffnen. Das zeigen Recherchen des «Tages-Anzeigers». Der mit der Untersuchung beauftragte Staatsanwalt Marco Renna ist aus diesem Grund vor wenigen Tagen ans Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) gelangt. Er präsentierte die Resultate einer ersten Voruntersuchung und bat das EJPD gemäss Artikel 15 im Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes um die Ermächtigung, gegen den Spitzenbeamten und ehemaligen Gewerkschaftssekretär ein ordentliches Strafverfahren zu eröffnen. Departementsvorsteherin Simonetta Sommaruga hat bislang noch keinen Entscheid getroffen. Gemäss EJPD-Sprecher Guido Balmer wird Gaillard im Rahmen des Ermächtigungsverfahrens das rechtliche Gehör gewährt.
Bundesanwalt gegen Finanzchef
Kommentar: Serge Gaillard hat die Probleme schöngeredet. — Seite 2.
Die Vorwürfe des Finanzdirektors haben sich nicht erhärtet. — Seite 3.
Serge Gaillard wies gestern gegenüber dem TA die gegen ihn erhobenen Vorwürfe von sich. Gaillard bestätigte aber, dass im August 2014 im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen bei der Zentralen Ausgleichsstelle, der wichtigsten AHV-Zahlstelle der Schweiz, eine Anzeige gegen ihn eingereicht wurde. Die BA habe das Verfahren bereits vor einem Jahr eröffnet. «Bis jetzt konnte ich zu den Vorwürfen noch keine Stellung beziehen», so Gaillard, für den die Unschuldsvermutung gilt.
Die nun drohende Strafuntersuchung gegen den Finanzdirektor des Bundes ist die Folge eines seit langer Zeit schwelenden Konflikts mit einem inzwischen entlassenen Mitarbeiter der AHV-Zahlstelle. Dieser war als Whistleblower an Gaillard gelangt und hatte ihn über schwere Missstände in der Informatikbeschaffung und der Geschäftsführung der Zahlstelle aufmerksam gemacht. Als Informationen über die Missstände an die Medien gelangten, verdächtigte Gaillard den Whistleblower, das Amtsgeheimnis verletzt zu haben, und reichte Strafanzeige ein. Dieser liess die Anschuldigungen nicht auf sich sitzen und attackierte Gaillard seinerseits mit einer Gegenklage. In dieser warf er ihm vor, wider besseren Wissens falsche Anschuldigungen gegen ihn zu erheben. Das Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung gegen den Whistleblower hat die BA inzwischen eingestellt. Nun will sie gegen Gaillard ermitteln. Das Ermächtigungsgesuch der BA zeigt, dass es für die Anschuldigungen fundierte Verdachtsmomente gibt.
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Kommentar Daniel Foppa, Ressortleiter Inland zu Serge Gaillards Rolle in der AHV-Affäre |
Kommentar Daniel Foppa, Ressortleiter Inland zu Serge Gaillards Rolle in der AHV-Affäre |
Es ist der klassische Fall von lange geduldeten Missständen in einem Amt, gegen die erst auf öffentlichen Druck hin entschieden vorgegangen wird. So hat die Zentrale Ausgleichsstelle (ZAS) der AHV Millionen für gescheiterte IT-Projekte verschleudert und das Beschaffungsrecht systematisch verletzt. Zudem leistete sich die inzwischen unter Druck zurückgetretene Direktorin Valérie Cavero besondere Extravaganzen: Sie lieh sich aus der Spesenkasse für private Zwecke Tausende von Franken in bar und reiste mit der Assistentin für 8000 Franken auf Geschäftskosten an eine Möbelmesse nach Schweden. Eine kurzfristig abgesagte zweite Reise kostete wegen bereits bezogener Leistungen 4000 Franken — alles zulasten der AHV.
Die Missstände wurden erst publik, als der TA darüber berichtete. Eine unrühmliche Rolle spielte dabei Caveros Vorgesetzter Serge Gaillard. Statt sich auf die Behebung der Missstände zu konzentrieren, ging er auf einen ZAS-Mitarbeiter los, den er als Whistleblower verdächtigte. Seine bei der Bundesanwaltschaft (BA) eingereichte Strafanzeige wurde ergebnislos eingestellt. Stattdessen ist nun Gaillard im Fokus der BA — wegen seines Vorgehens gegen diesen Mann. Ihm war es offensichtlich wichtiger, auf den mutmasslichen Überbringer der schlechten Nachricht zu zielen, als für Ordnung zu sorgen. Gut möglich, dass sich Gaillard vor der Reaktion seiner politischen Vorgesetzten fürchtete. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf war bekannt dafür, kurzen Prozess mit Chefbeamten zu machen, wenn der öffentliche Druck stieg.
Die Untersuchung gegen Gaillard ist im Sinne der Transparenz und des Whistleblower-Schutzes zu begrüssen. Hat sich Gaillard rechtlich nichts zuschulden kommen lassen, kann er ihr gelassen entgegensehen. Vorwerfen lassen muss er sich jedoch in jedem Fall, die Probleme schöngeredet zu haben. Derweil hat die Hauptverantwortliche für die chaotischen Zustände bei der ZAS einen neuen Beruf: Valérie Cavero ist seit 2015 stellvertretende Generalsekretärin im Finanzdepartement des Kantons Genf — wo es offenbar möglich ist, trotz laufenden Verfahrens wegen einer Spesenaffäre einen Kaderjob in der Verwaltung anzutreten.
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Der Bundesanwaltschaft (BA) liegen die Anschuldigungen gegen Serge Gaillard, Finanzdirektor des Bundes, seit Monaten vor. Ein mittlerweile entlassener Angestellter der Zentralen Ausgleichsstelle (ZAS) in Genf, der wichtigsten AHV-Zahlstelle der Schweiz, wirft Gaillard falsche Anschuldigung, Verleumdung, Amtsmissbrauch und versuchte Nötigung vor. Der Mann hatte sich Gaillard 2013 als Whistleblower anvertraut und ihn fortlaufend über Missstände bei den Informatikbeschaffungen und der Geschäftsführung der ZAS informiert.
Als Informationen darüber an die Medien gelangten, wandte sich Gaillard vom Mann ab und zeigte ihn wegen Amtsgeheimnisverletzung an. Das liess der Whistleblower nicht auf sich sitzen. Er warf Gaillard vor, sein Amt zu missbrauchen, ihn zu diskreditieren und entgegen der Wahrheit an den Pranger zu stellen. Also reichte der Mann gegen Gaillard eine Gegenklage ein.
Gaillards Anzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung ist mittlerweile vom Tisch. Die BA hat die entsprechende Strafuntersuchung am 3. Februar eingestellt, wie sie gestern auf Anfrage mitteilte. Parallel zur Einstellung dieses Strafverfahrens reaktivierte die BA nun aber die Klage des Whistleblowers gegen Gaillard. Diese hatte sie für die Dauer der Strafuntersuchung wegen Amtsgeheimnisverletzung sistiert. Die BA schreibt: «Nach Abschluss des Verfahrens im Februar wurden die sachdienlichen Abklärungen aufgenommen.»
Gemäss Recherchen des «Tages-Anzeigers» hat der untersuchende Staatsanwalt Marco Renna bereits weiterführende Schritte eingeleitet. Nach Abschluss einer Voruntersuchung gelangte er ans Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), wie dies im Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes vorgeschrieben ist. Renna bat das EJPD um eine Ermächtigung, gegen Gaillard ein ordentliches Strafverfahren zu eröffnen. Gemäss TA-Recherchen haben sich die Verdachtsmomente gegen den Finanzdirektor erhärtet. Zudem können Delikte wie falsche Anschuldigung, Verleumdung, Amtsmissbrauch und versuchte Nötigung nicht durch ein Disziplinarverfahren gelöst werden, sondern hätten bei einer Verurteilung zumindest eine Geldstrafe, schlimmstenfalls einen Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren zur Folge.
Für Serge Gaillard gilt die Unschuldsvermutung. Auf Anfrage des TA wies der Finanzdirektor gestern sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück. Er sagt: «Das Verfahren wurde bereits vor einem Jahr eröffnet. Bis jetzt konnte ich zu den Vorwürfen keine Stellung beziehen.» Gaillards Anwältin, Isabelle Bühler, geht offensichtlich von einer baldigen Einstellung des Verfahrens aus. Sie sagt: «Die Bundesanwaltschaft braucht selbst für die von uns geforderte Einstellung der Untersuchung eine Ermächtigung des Justiz- und Polizeidepartements.»
Staatsanwalt Marco Renna scheint es mit der Strafuntersuchung gegen den Spitzenbeamten aber ernst zu sein. Doch er muss sich gedulden. Bis zu einem Entscheid des EJPD kann es mehrere Wochen dauern. Eine gesetzlich vorgeschriebene Frist zur Ermächtigung gibt es nicht. EJPD-Sprecher Guido Balmer sagt: «Die beschuldigte Person erhält im Rahmen eines solchen Ermächtigungsverfahrens rechtliches Gehör und kann sich zur Sache äussern.» Zweck eines Ermächtigungsverfahrens sei nicht zu entscheiden, ob ein Straftatbestand erfüllt sei oder nicht. Das Verfahren habe ausschliesslich den Zweck, das Bundespersonal vor unbegründeten beziehungsweise querulatorischen oder mutwilligen Strafverfahren zu schützen und dadurch den reibungslosen Gang der Verwaltung sicherzustellen, so Balmer. Die Ermächtigung werde nur dann verweigert, wenn eine Strafbarkeit offensichtlich nicht gegeben sei.
Bis zur Ermächtigung im Fall Gaillard kann Staatsanwalt Renna seine Ermittlungen gegen die ehemalige ZAS-Direktorin Valérie Cavero weiter vorantreiben. Das Strafverfahren gegen Cavero, mittlerweile stellvertretende Generalsekretärin im Finanzdepartement des Kantons Genf, ist nach monatelangen Ermittlungen noch immer in Gang. Cavero hat mit der Begründung «Vorbezug für diverse Spesen» wiederholt Geld aus der Kasse genommen — und erst Monate später zurückgelegt. Zudem soll es beim Management mit Mitarbeiterverträgen zu Unregelmässigkeiten gekommen sein.
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Powered by | Stand: 3. April 2016 | © Tages Anzeiger |