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Sepp Blatter drohen nach Fifa-Reform interne Verfahren
Sepp Blatter nach der gestrigen Pressekonferenz am Fifa-Hauptsitz in Zürich.
Foto: Steffen Schmidt (Keystone)
Stolz hat Sepp Blatter gestern den neuen Kurs präsentiert, den er als Fifa-Präsident eingeleitet hat:
Die Reform mit einer zweigeteilten, unabhängigen Ethikkommission.
Sie soll funktionieren wie eine staatliche Strafjustiz und den Weltverband vor Korruption schützen.
Auf die neuen Ermittler kommt viel Arbeit zu. Gemäss dem neuen Reglement verjähren Korruptionsdelikte nicht.
Damit können Fälle wie der Skandal um die Zuger Sportrechtefirma ISL untersucht werden.
Unter anderem wegen Kenntnis von Schmiergeldzahlungen drohen Blatter interne Verfahren.
Der Kodex verpflichtet auch ihn «zu ethischem, würdevollem, absolut glaubwürdigem und integrem Verhalten».
Ob der Walliser gegen ethische Grundsätze verstossen hat, weil er jahrelang von Bestechung wusste,
aber nichts dagegen tat, beurteilen nun die neu geschaffenen Instanzen.
«Sie müssen erst eine Rechtsprechung entwickeln und haben dabei einen grossen Ermessensspielraum»,
erklärt Damian Heller, Direktor des Basel Institute on Governance, der die Fifa bei ihrer Reform berät.
Die Sanktionen reichen von Geldstrafe bis zu lebenslanger Sperre als Fifa-Funktionär.
Harsche Kritik an Blatter
Für Guido Tognoni, ehemaligen Fifa-Direktor und Wahlkampfhelfer Blatters,
ist klar: «Blatter verdrängt die Vorfälle aus der Vergangenheit.
Falls es so weit käme, dass er von der Ethikkommission derart hart bestraft werden müsste,
dass sein Amt als Präsident in Gefahr wäre, würde er sich auf den Kongress berufen,
der ihn gewählt hat.» Und dort fände er Support:
«Blatter hat im Kongress sehr viele Freunde aus allen Kontinenten.
Die kann er immer hinter sich bringen, das ist Fifa-Folklore.»
Auch der ehemalige Fifa-Kommunikationschef Markus Siegler sagt:
«Ich kenne keinen Raffinierteren als Sepp Blatter.
Er ist mit allen Attributen ausgerüstet, die es braucht,
um auf diesen Posten zu gelangen — und sich dort zu halten.»
Für Siegler klammert sich Blatter aber krampfhaft an ein Amt,
das er zwingend niederlegen müsste, weil er selber Teil des Systems sei:
«Es ist peinlich, wie er sich gibt. Nicht einmal mit 76 Jahren hat er Rückgrat.
Ich bin überzeugt, dass er viel mehr weiss, als er zugibt.»
Für Siegler ist ein Rücktritt überfällig. Nur glaubt er nicht, dass Blatter freiwillig geht:
«Alles, was er macht und anordnet, tut er nur für sein eigenes Überleben bei der Fifa.»
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Kommentar
Ueli Kägi, Sportredaktor, über den neuen Ethikcode der Fifa.
Von Ueli Kägi
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Kein Grund, Blatter schon zu feiern
Die breite Öffentlichkeit hat starke Vorbehalte gegen Sepp Blatter.
Der Fifa-Präsident hat bis vor kurzem behauptet,
von Schmiergeldzahlungen an eigene Funktionäre nichts zu wissen —
obwohl er seit Jahren Kenntnis davon hatte.
Er half, Untersuchungen der Zuger Staatsanwaltschaft gegen
die Fifa mit einer Millionenzahlung zur Einstellung zu bringen.
Er wird beschuldigt, TV-Rechte von Weltmeisterschaften zu Spottpreisen
an seinen karibischen Ex-Verbündeten Jack Warner vergeben und
als Gegenleistung 40 Stimmen im Präsidentschaftswahlkampf erhalten zu haben.
Sepp Blatter ist ein Machtmensch.
Nun hat er unter Druck und getrieben vom eigenen Machthunger wieder
einmal eine verblüffende Drehung vollzogen. Er hat die Fifa auf Reformkurs geführt.
Die Diskrepanz zwischen seiner Akzeptanz in der Öffentlichkeit und im
Weltfussball-Klüngel ist bemerkenswert.
Der gestrige Entscheid, die Korruption im eigenen Haus zu bekämpfen,
ist von den Mitgliedern des Exekutivkomitees laut Blatter einstimmig gefällt worden.
Und vor einem Jahr wurde der 76-jährige Walliser vom Kongress mit 186
von 206 Stimmen in seine vierte Amtszeit gewählt.
Die vielen kleinen Länder sind seine Stützen:
Wie es ihm gelingt, sie konstant hinter sich zu bringen, ist Gegenstand vieler Spekulationen.
Die Fifa hat nun Instrumente geschaffen, um verwerfliche Handlungen eigener
Funktionäre auch rückwirkend aufzuarbeiten und zu ahnden.
Kein Grund, Sepp Blatter nun zu feiern.
Dafür ist seine Vergangenheit zu diffus, sind seine Handlungen zu berechnend.
Trotzdem ist die Reform ein beachtlicher Schritt.
Und nicht ohne Risiko für den Präsidenten selbst.
«Diesem Reglement unterstellte Personen sind zu ethischem, würdevollem,
absolut glaubwürdigem und integrem Verhalten verpflichtet», steht im neuen Fifa-Ethikcovde.
Diesen Worten sind die neuen unabhängigen Instanzen auch verpflichtet,
wenn sie Blatters Vergangenheit durchleuchten.
Der Ankläger Michael Garcia muss umgehend mit Ermittlungen beginnen,
der Richter Hans-Joachim Eckert später nachvollziehbar urteilen.
Von ihrer Arbeit hängt ab, ob die Reform nicht nur gut klingt,
sondern auch glaubwürdig ist.
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Viele ungeklärte Fälle warten auf Chef-Ermittler
Der ehemalige Terroristen-Jäger Michael Garcia könnte sich um dubiose WM-Vergaben
kümmern oder auch um Sepp Blatters Wahl.
Von Thomas Knellwolf
Die neue Ermittlungseinheit der Fifa kann sich einer Vielzahl von Gerüchten,
Indizien und potenziellen Beweisen aus skandalträchtigen Jahrzehnten im Weltfussball annehmen.
Mit Michael Garcia steht ein erfahrener Ermittler an ihrer Spitze.
In Diensten der US-Regierung jagte Garcia nach 9/11 Terroristen der alQaida;
als New Yorker Staatsanwalt deckte er 2008 auf, dass der damalige
Gouverneur Eliot Spitzer in eine Prostituiertenaffäre verwickelt war.
Und er verfolgte die frühere Sprint-Olympiasiegerin Marion Jones wegen Dopingvergehen.
Bei der Fifa wird sich der Anwalt vor allem mit Korruption beschäftigen.
Das Ethikreglement der Fifa, das dem TA vorliegt, verbietet auch rückwirkend
die Annahme von Geschenken und Vorteilen, die mehr als einen «symbolischen oder geringen Wert haben».
Bei fast allen bekannten Affären im Verein mit Sitz auf dem Zürichberg
geht es um Bestechung mit stattlichen Summen, wie eine unvollständige Zusammenstellung zeigt.
160 Millionen Bestechungsgeld
Die Schmiergeldzahlungen der Zuger Sportrechte-Firma ISL bilden
den grössten aufgeflogenen Fifa-Skandal.
Rund 160 Millionen Franken an Bestechungsgeld hat der Zuger Staatsanwalt nachweisen können.
Das Geld floss vor allem an 16 Fifa-Funktionäre.
Vier Namen sind seit kurzem amtlich bestätigt:
die prominentesten sind jene des langjährigen Fifa-Präsidenten João Havelange
und seines Ex-Schwiegersohns Ricardo Teixeira.
Die ISL erhielt im Gegenzug TV-Rechte zugeschanzt.
Die Zuger Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen wegen ungetreuer Geschäftsführung eingestellt
— wohl kaum, weil die Taten damals nicht strafbar gewesen wären,
wie Fifa-Präsident Sepp Blatter behauptet.
Sondern weil die beiden brasilianischen Funktionäre und die Fifa
5,5 Millionen Franken an Wiedergutmachung bezahlt haben.
Ermittler Garcia kann den Fall neu aufrollen.
Obwohl Blatter und andere Fifa-Offizielle von der Bestechlichkeit Havelanges
und des brasilianischen Verbandspräsidenten Teixeira wussten,
vergaben sie die WM 2014 nach Brasilien.
Umstrittene WM-Doppelvergabe an Katar (2022) und Russland (2018).
Foto: Keystone
Fifa-Vize Jack Warner kam einem Ausschluss durch seinen Rücktritt zuvor.
Foto: Keystone
Vergabe der WM 2006: Fifa-Vize Grondona gratuliert Beckenbauer.
Foto: Reuters
Ex-Fifa-Präsident João Havelange soll Millionen kassiert haben.
Foto: Keystone
Gekaufte Stimmen
Es gibt Hinweise, dass Stimmenkauf vor Abstimmungen über eine WM-Austragung verbreitet war:
Blatter selber deutete am Wochenende an, dass die Vergabe nach Deutschland 2006 unsauber abgelaufen sei.
Beweise blieb er bislang schuldig.
Auch beim Doppelentscheid der Fifa-Delegierten für Russland (2018)
und Katar (2022) soll nicht alles mit rechten Dingen zu und her gegangen sein.
Die «Sunday Times» hat aufgedeckt, dass mehrere Fifa-Funktionäre ihre Stimmen veräussern wollten.
Interesse der neuen Fifa-Ermittlereinheit könnte im Zusammenhang mit Katar 2022 auch ein wenig durchsichtiges,
aber millionenschweres Netz von Strohfirmen wecken.
Argentiniens Bundesanwalt rechnet es dem Fifa-Finanzchef und Blatter-Stellvertreter Julio Grondona zu.
TV-Rechte zum Vorzugspreis
Dem Fifa-Vizepräsidenten Jack Warner wurden jahrelang regionale TV-Rechte
für Weltmeisterschaften zum Freundschaftspreis überlassen.
Damit soll sich Blatter von Warner, dem Präsidenten des Nord-
und Mittelamerika-Verbands, ein 40-Stimmen-Paket für seine Wahl gesichert haben.
Der Fifa-Präsident bestreitet diesen und viele andere Vorwürfe.
Es gilt die Unschuldsvermutung.
Bei Wahlen ums Fifa-Präsidium beschuldigten sich Kandidaten und ihr Umfeld
immer wieder gegenseitig der Bestechung.
Der Katarer Mohamed bin Hammam, der 2011 gegen Blatter antreten wollte,
ging in der Karibik zusammen mit Jack Warner auf Stimmenkauf.
Warner trat — vor einem drohenden Ausschluss — aus der Fifa-Führung zurück.
Bin Hammam wehrt sich vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS
gegen eine lebenslange Sperre durch den Verband.
Wer von der neuen Ethikkommission verurteilt wird,
könnte das Sportgericht in Lausanne — und dann das Bundesgericht — anrufen.
Entsprechend hoch sind die formalen Anforderungen an Michael Garcia,
wenn er statt Terroristen jetzt Fifa-Funktionäre jagt.
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Für den Fifa-Präsidenten ist die Welt wieder rund
Sepp Blatter sieht sich als Reformer und ignoriert Rücktrittsforderungen.
Von Peter M. Birrer und Ueli Kägi
Der Präsident steuert in den Saal, um eine Botschaft in die Welt zu setzen,
die er als persönlichen Triumph versteht.
Als er Platz genommen hat, ruft er in das Mikrofon:
«Jetzt ist es so weit.»
Das Lächeln verrät seinen Stolz über die neuste Rolle,
in der er sich sieht: Es ist die Rolle des Reforvvvvvvmers.
Das Exekutivkomitee hat sich an seiner Sitzung für den neuen Ethikcode
und die Reform der Ethikkommission ausgesprochen. Es sind Instrumente,
um die Korruption in den eigenen Reihen zu bekämpfen.
Die Exekutive folgt damit den Vorschlägen des Basler Anti-Korruptions-Experten Mark Pieth.
Die Ethikkommission ist neu ein Zweikammersystem,
bestehend aus einem untersuchenden und einem rechtssprechenden Gremium.
Den Vorsitz der anklagenden Instanz übernimmt der ehemalige
New Yorker Oberstaatsanwalt Michael Garcia,
als Richter wurde der Münchner Hans-Joachim Eckert gewählt.
Beide sind Fifa-Unabhängige mit einwandfreiem Ruf.
«Sie sehen einen glücklichen Präsidenten vor sich»,
sagt Blatter und strahlt weiter, als er von «einstimmig» gefällten Entscheiden berichtet und anfügt:
«Nur einer in der Ecke hat nicht recht gewusst, ob seine Hand nach oben soll oder nicht».
Keine Verjährung
Für Blatter ist dieses Resultat der nächste Schritt im Reformprozess.
Dass ihn zuletzt vor allem aus Deutschland höchste Fussballfunktionäre zum Rücktritt aufforderten,
das lässt er in diesem Moment an sich abprallen.
Er sagt zuerst: «Würde ich jedes Mal reagieren, wenn jemand sagt, dass ich zurücktreten soll,
würde ich mich grün und blau ärgern.»
Der 76-jährige Walliser hält gleich darauf den Zeitpunkt für ideal,
sich für seine Arbeit zu loben: «Der Antrieb zur Reform kommt aus meiner Küche!»
Oder: «Es hat funktioniert, der Prozess geht vorwärts!»
Oder: «Als ich vor 37 Jahren bei der Fifa anfing, haben wir bei null angefangen.
Jetzt sind wir eine grosse Institution.» Oder: «Meine Absetzung kann einzig der Kongress beschliessen.
Wenn die Verbände aufstehen und sagen, Blatter, wir wollen dich nicht mehr, sage ich:
Danke, ich habe meine Arbeit geleistet, ich gehe. Ohne Wenn und Aber.»
Ankläger Garcia hat nun reichlich zu tun und als Erstes die ISL-Affäre aufzuarbeiten
— eine Verjährung für Fälle von Korruption sieht der Ethikcode nicht vor.
Bis zu ihrem Konkurs 2001 hatte die Zuger Sportrechte-Agentur ISL 160 Millionen
Franken Schmiergelder an Blatters Vorgänger João Havelange,
das langjährige Exekutivmitglied Ricardo Teixeira sowie 14 weitere
Personen aus dem Kreis der höchsten Fifa-Funktionäre bezahlt.
Blatter wusste schon lange davon, bestritt dies aber bis letzte Woche.
Jetzt behauptet er, von weiteren Schmiergeldempfängern innerhalb der Fifa nichts zu wissen.
In den ISL-Akten sind auch die Exekutivkomitee-Mitglieder Nicolás Leoz (Paraguay)
und Issa Hayatou (Kamerun) namentlich aufgeführt.
Die Mauscheleien innerhalb der Fifa —
es geht neben den ISL-Schmiergeldern auch um angeblich gekaufte Stimmen
bei Präsidentschaftswahlen und WM-Vergaben sowie um den Verkauf von TV-Rechten
— sollen nun unter «moralischen und ethischen Gesichtspunkten»
aufgearbeitet werden, wie Blatter sagt.
Am Ende der Untersuchungen steht ein Urteil —
die Sanktionen reichen bis zur lebenslangen Sperre der fehlbaren Fifa-Funktionäre.
Was die bevorstehenden Untersuchungen angeht, sagt Blatter: «Ich bin auf alles vorbereitet.»
Und wenn er etwas fürchtet, was die Aufarbeitung seiner eigenen Vergangenheit angeht,
so lässt er sich dies zumindest nicht anmerken.
«Enjoy the game, enjoy life»
Ihm ist es dafür ein Bedürfnis, mitzuteilen, dass ihm die Exekutive Rückhalt
gebe und die «Fifa-Familie» intakt sei.
Nach dem Ja zum neuen Ethikcode hätten ihm die Mitglieder gesagt:
«Wir sind mit dir, wir gehen mit dir.»
Dass einige dieser Mitglieder einen äusserst zweifelhaften Ruf geniessen,
darüber hält er sich nicht auf.
«Wenn einzelne Mitglieder belastet sind, dann wissen Sie mehr als ich», sagt er auf eine Frage.
Und dann: «Ich bin nicht das Seelenheil einzelner Mitglieder des Exekutivkomitees.»
Angriffe auf seine Person wehrt er mit giftigem Blick und bissigem Ton ab.
Auf die Frage, wie er darauf reagiere,
dass ihm deutsche Politiker wegen seiner Äusserungen zur WM-Vergabe 2006 das
Bundesverdienstkreuz aberkennen wollen (siehe Text unten), erwidert er:
«Dann nehmen sie es mir eben weg.»
Sein Selbstverständnis leidet unter den Anfeindungen kaum.
«Die Fifa ist etwas Besonderes», sagt er noch,
«der Fussball ist ein Bestandteil der Gesellschaft.
Also gibt es das Böse auch im Fussball.»
Dann drängte er auf den Schluss.
Und verabschiedete sich mit Worten:
«Enjoy the game, enjoy life.» Geniesst das Spiel, geniesst das Leben.
Es gibt keinen Zweifel: Seine Welt ist wieder im Lot.
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Deutschland glaubt dem Blatter nicht
Von David Nauer, Berlin
Medien, Funktionäre und Politiker sehen die Reformen in der Fifa skeptisch.
Einige fordern, dem Präsidenten das Bundesverdienstkreuz abzuerkennen.
Deutschland und Sepp Blatter — das ist im Moment eine Beziehung von Schlag und Gegenschlag.
Erst verlangte Fussballfunktionär Reinhard Rauball den Rücktritt des Fifa-Chefs,
dann revanchierte sich Blatter mit der Andeutung, die WM 2006 in Deutschland sei gekauft gewesen.
Die Empörung war gross, gestern dann machte Blatter ein Friedensangebot in der «Bild»-Zeitung.
Er sei nicht richtig verstanden worden, schrieb er in einem offenen Brief.
Doch viel Verständnis kann der Walliser in Deutschland ohnehin nicht mehr erwarten.
Die Meinungen über ihn sind gemacht.
Medien wie Politiker sehen selbst die gestern beschlossenen Fifa-Reformen skeptisch.
«Blatter ernennt sich zum Reformer», titelte «Spiegel online» ironisch.
«Blatter sitzt die Krise aus», stellt der «Stern» fest, und die Website von «Focus» kommentiert,
das Fifa-Exekutivkomitee, «Blatters persönlicher Akklamation-Verein», habe die Reform durchgewinkt.
Die Wirkung hält man freilich für begrenzt.
Schliesslich steckten die neu ernannten Korruptionswächter ebenfalls in einem «Netz aus Abhängigkeiten».
Unversöhnlich zeigt sich auch Fussballliga-Chef Rauball. Er bekräftigte gestern seine Rücktrittsforderung.
Der Präsident des Deutschen Fussball-Bundes (DFB), Wolfgang Niersbach, erneuerte seine Kritik ebenfalls.
Er habe die Reaktion des Fifa-Chefs auf den Schmiergeldskandal rund um das
Medien- und Marketingunternehmen ISL «für total falsch gehalten».
DFB will Stimmung ausloten
Eine Rücktrittsforderung werde allerdings keine offizielle Forderung des DFB sein, sagte Niersbach.
«So anmassend sollten wir nicht sein.» Vielmehr will er vor dem nächsten Fifa-Kongress
die Stimmung bei den insgesamt 209 Mitgliedern ausloten.
In Deutschland aber könnte eine andere Frage entschieden werden.
Blatter soll, so verlangten gestern zahlreiche Politiker, das Bundesverdienstkreuz aberkannt werden.
Der Schweizer hat den hohen deutschen Orden 2006 bekommen
— ans Revers geheftet von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Sie zeichnete ihn damit für seine Verdienste um die Fussball-WM in Deutschland aus.
Die Opposition hält das inzwischen für einen Fehler.
«Sepp Blatter steht für endemische Korruption bei der Fifa»,
sagte der grüne Europapolitiker Reinhard Bütikofer.
«Deswegen sollte ihm das Bundesverdienstkreuz wieder entzogen werden.»
Ähnlich äusserte sich der einflussreiche SPD-Mann Thomas Oppermann
sowie Vertreter der Linkspartei.
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Schweiz schonte Sportverbände bisher bewusst
Von Markus Brotschi, Bern
Das Parlament will endlich auch grosse Sportverbände dem Korruptionsstrafrecht unterstellen.
Unter Dach und Fach ist die Vorlage noch nicht.
Korruption in der Wirtschaft, auf staatlicher Ebene und selbst die
Bestechung von Privatpersonen sind in der Schweiz strafbar.
Keine Strafverfolgung müssen jedoch bis heute korrupte Funktionäre
von Weltsportverbänden befürchten, obwohl diese Verbände ein Milliardengeschäft betreiben.
Dass dem so ist, war der Wille von Bundesrat und Parlament.
Als die Schweiz 2004 eine Europarat-Konvention gegen Korruption umsetzte,
verzichtete die Politik bewusst darauf,
Organisationen wie die Fifa und das Internationale Olympische Komitee (IOK)
den verschärften Bestimmungen zu unterstellen.
Gepaart mit der Steuerbefreiung, sollte dies die Schweiz
für internationale Sportverbände attraktiv erhalten.
Doch nun scheint im Parlament die Schonfrist für korrupte Sportverbände abzulaufen.
Haltung des Bundesrates unklar
Den Anstoss hat der Genfer SP-Nationalrat Carlo Sommaruga gegeben.
Er forderte in einer parlamentarischen Initiative,
Nichtregierungsorganisationen wie die Fifa dem Korruptionsstrafrecht
zu unterstellen und die Bestechung von Privatpersonen zum Offizialdelikt zu machen.
Die Rechtskommissionen beider Räte stimmten der Verschärfung im Januar beziehungsweise im April zu.
Nun hat die Nationalratskommission den Auftrag, innert eines Jahres eine Vorlage auszuarbeiten.
Dem Bekenntnis der Fifa, selbst für Ordnung zu sorgen, misstraut Sommaruga.
«Der Staat muss eingreifen und dafür sorgen, dass das Image der Schweiz nicht weiter leidet.»
Offen ist, ob der Bundesrat die Unterstellung internationaler Sportverbände
unter das Korruptionsstrafrecht heute befürwortet.
Zwar prüft das Bundesamt für Justiz derzeit,
wie die Verfolgung von Privatbestechung erleichtert werden kann.
Anlass ist eine Empfehlung der Antikorruptionskommission des Europarats (Greco).
Ob Sportverbände dem Strafrecht unterstellt werden müssten,
um die Greco-Empfehlungen zu erfüllen, sei noch offen, heisst es beim Bundesamt für Justiz.
Auch das Bundesamt für Sport arbeitet an einem Bericht zur Korruptionsbekämpfung im Sport.
Dieser Bericht soll Ende Jahr vorliegen.
Die Antikorruptionsorganisation Transparency International befürchtet,
dass die Schweizer Politik auch diesmal nichts unternimmt.
«Es ist gut möglich, dass das Parlament am Schluss doch nichts beschliesst»,
sagt Delphine Centlivres, Geschäftsführerin von Transparency Schweiz.
Tatsächlich wurden in den Rechtskommissionen beider Räte auch Bedenken vorgebracht:
Sommarugas Initiative unterstelle jegliche Privatorganisationen dem Korruptionsstrafrecht,
auch Kirchen und inländische Vereine, was unverhältnismässig sei.
Eine letzte Chance für die Fifa
Einer solchen Regelung würde Nationalrat Rino Büchel (SVP, SG) kaum zustimmen.
Er war früher selbst für die Fifa tätig und gehört zu jenen Bürgerlichen,
die grosse Sportverbände grundsätzlich dem Korruptionsstrafrecht unterstellen wollen.
«Aber wir dürfen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten», sagt Büchel.
Er macht seine Entscheidung davon abhängig, ob die Fifa mit ihrer Selbstregulierung etwas erreicht.
Falls alles beim Alten bleibt, könnte auch die Steuerbefreiung der Sportverbände in-frage gestellt werden, sagt Büchel.
Er könnte sich mit einem Vorschlag von Strafrechtsprofessor Mark Pieth anfreunden,
wonach internationale Sportverbände im Strafrecht bezüglich Korruption internationalen
Organisationen wie der UNO gleichzustellen sind.
Dieser Vorschlag lag dem Parlament allerdings als Initiative von Anita Thanei (SP, ZH)
schon einmal vor — und wurde wieder zurückgezogen.